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Digitales Storytelling in drei Akten

Wodurch Geschichten wirken können und somit im Kopf bleiben und emotionalisieren. Genau diese Ziele verfolgt das Growth Marketing.
Julian Jonas | 02.03.2021
Digitales Storytelling in drei Akten © Freepik
 

Aus drei Metern Höhe starre ich in die Tiefe. Kein Geländer, keine Absicherung. Damals erst sechs Jahre alt. Mit jeder Sekunde wird mein Atem schneller und flacher, meine Anspannung immer größer. Was passiert hier? Immer mehr Augen richten sich auf mich und den Abstand zwischen mir und dem Boden. Dieser Moment würde mein Leben prägen, wenn es mir auch noch nicht bewusst war. „Stell dir vor, du bist Batman und spring“, sagt eine Stimme hinter mir. Der Moment scheint ewig lang zu werden. Ich schließe die Augen, hole tief Luft und springe.

Nur wenige Momente später tauche ich auf, von mir und der Situation völlig überrascht. Eine gefühlte Ewigkeit habe ich den Sprungturm im Freibad komplett lahmgelegt und eine kleine neugierige Menge angezogen, die wissen wollte, wie sich mein Drama auflöst. So richtig verstanden habe ich diese Situation erst viel später. Batman war einer meiner Kindheitshelden, was mein Vater sich geschickt zunutze gemacht hatte. Seine Geschichten haben mich bewegt und mir geholfen, den notwendigen Mut für eine für mich große Herausforderung zu finden. Diese Geschichte wiederum hat mich mein Leben lang begleitet, zum einen ist und bleibt Batman mein Superheld Nr. 1 und zum anderen hilft sie mir immer wieder dabei, neue Herausforderungen anzugehen. Ich bin ein bisschen Batman geworden.

Growth Marketing dank Storytelling?

Dieses sehr persönliche Beispiel zeigt auf, wie stark Geschichten wirken können. Sie bleiben im Kopf und emotionalisieren. Genau diese Effekte wollen wir auch für Growth Marketing nutzen. Gerade in der heutigen Werbelandschaft wird ein wirklicher Kontakt zur Zielgruppe immer knapper. Die Werbekontakte steigen, die Wahrnehmung von Werbung sinkt, dabei werden auch Videoanzeigen immer kürzer, nicht nur in den Storys der Social-Media-Plattformen. Wer im Kopf bleiben möchte, sollte auf verschiedensten Ebenen Geschichten erzählen, neudeutsch: Storytelling. Storytelling soll aber nicht nur der Bespaßung der erreichten Zielgruppen dienen, sondern der eigenen Marke ganz konkrete Vorteile bringen. Wer schnell und effizient wachsen möchte, möchte sich schnell im Kopf der Zielgruppen verankern und nicht über viele Jahre hinweg teuer eine Marke aufbauen müssen. Wenn man sich den Werbemarkt heute anschaut, egal ob digital oder analog, dann kann Storytelling ein maßgebliches Werkzeug sein, um die Wirkung der eigenen Kampagnen hoch zu halten. Die jüngeren Zielgruppen scheinen Werbung schon gar nicht mehr wahrzunehmen, was auch zu einem Boom im Influencer-Marketing geführt hat. Diesem Trend gilt es sich zu stellen.

 

Wie geht digitales Storytelling?

Um diesen Trends entgegenzuwirken, kann digitales Storytelling ein mögliches Werkzeug sein. Storytelling kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Grundlegendes Ziel ist es dabei immer, den User durch eine höhere Aufmerksamkeit zu binden und somit höherwertigere Kontakte mit Marke oder Produkt zu schaffen. In der Mikro-Ebene wird eine Geschichte in einem einzelnen Creative erzählt. Hier kann man durch Personalisierung der Anzeigen die Zielgruppen möglichst persönlich ansprechen. Sehe ich als Star-Wars-Fan eine schwedische Lampe im Design des Todessterns oder die Yoga-Enthusiastin eine Frau selben Alters im Yoga-Outfit, so steigen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Die zweite Option ist tatsächlich, eine fesselnde Geschichte zu erzählen, die nicht zwangsweise an die Lebenssituation der Zuschauer angepasst ist. In der Makro-Ebene soll die Geschichte der Marke und des Produktes erlebt und stetig weitererzählt werden.

Diese Herangehensweise ist soweit logisch, hat aber ein großes Problem in der Kurzlebigkeit der heutigen Werbekontakte. Die User verbringen immer weniger Zeit mit Anzeigen. Der Zeitrahmen, in dem nun der User mit einer Geschichte gefesselt werden soll, ist sehr kurz. Ach ja, und bitte nicht vergessen, Marke, Produkt und Botschaft in den ersten Sekunden prominent platzieren. Das sind Umstände, bei denen ich froh bin, nicht am Schreibtisch der Kreativagenturen zu sitzen. Doch wie auch mein Lieblingsbeispiel Batman zeigt, muss man keine
Superkräfte haben, sondern Technologie richtig nutzen. Verschiedene Technologien erlauben es uns, unsere Geschichten auf klassische Art und Weise in verschiedenen Akten zu denken oder auf die User zuzuschneiden.


Was sind die Einsatzmöglichkeiten?

Am Beispiel von Googles DSP (Demand-Side-Platform) DV360 und dem dazugehörigen Adserver schauen wir uns zwei konkrete Herangehensweisen an.


Dynamic Creative Optimization

Die Personalisierung kann über zwei Ansätze erreicht werden. So kann sie beispielsweise über die Erstellung einer Vielzahl an Video-Ads erreicht werden. Für jede geplante Zielgruppe wird ein eigenes Creative erstellt. Dies ist natürlich wenig dynamisch und sehr aufwendig, im Video-Advertising aber leider noch der Standard. Schaut man auf Display-Ads, so hat sich in den letzten Jahren eine sehr spannende Option entwickelt, die Dynamic-Creative-Optimization, kurz DCO. Personalisierungen der Anzeigen kann somit auf Basis von Daten automatisiert stattfinden.

Das klingt noch etwas abstrakt, lässt sich aber sehr gut aufzeigen. Man überlegt sich, welche Signale das Werbemittel beeinflussen sollen. Diese nimmt man als Startpunkt. Hier kann es eine Vielzahl von Einflüssen geben:

Ort, Wetter, Tageszeit, Geschlecht, Interesse des Users oder zum Beispiel bisherige Interaktionen des Users mit der Website. Diese Signale werden vor Ausspielung der Anzeigen erkannt und dann in eine personalisierte Anzeige übersetzt. Über einen Feed werden nun Regeln festgelegt, wie sich die Informationen auf das Werbemittel auswirken sollen.

Bilder, Produkte, Texte, Animationen und auch die Landingpages werden nun auf den User zugeschnitten. Anstatt eines generischen Modebanners sieht er jetzt eine persönliche oder auf den Moment zugeschnittene Anzeige. Der weibliche Festival-Fan sieht bei Hamburger Schietwetter ein Bild einer Frau in gelber Regenjacke vor einem Zelt: „Für uns Hanseaten kein Problem!“ Das schafft Aufmerksamkeit und zieht unsere junge Hanseatin direkt in ihre eigene Geschichte. Unsere Erfahrungen mit den via DCO erstellten Werbemitteln sind bisher sehr positiv.

Shakespeare: Wir führen den User in Akten

Das Stück in drei Akten bezeichnen wir heute als Ad-Sequencing, Storytelling oder Ad-Retargeting. Erstellt man eine Kampagne in DV360, so wird man direkt gefragt, ob man nicht eine Story erzählen möchte. Google platziert das Tool also sehr prominent (Abbildung 1).





Abb. 1: Storytelling mit hoher Relevanz.


Was steckt dahinter? Das Steuern einer Frequenz, also der optimalen und maximalen Kontakte der User mit einer Kampagne, ist ein bekanntes Vorgehen. Das gezielte Steuern der Reihenfolge der Werbemittel einer Kampagne ist aber noch vergleichsweise neu. Über das Storytelling als Kampagnenart können die Werbekontakte mit einer Kampagne ganz genau geplant werden. Dies bringt drei immense Vorteile:

1. Steuerung der Frequenz
2. Storytelling
3. Verknüpfung von Branding- und Performance-Kampagnen

 

Abb. 2: Schritt-für-Schritt-Planung der Kampagne.


Steuern wir die Werbekontakte, so können wir die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine bestimmte Kontaktzahl erreicht wird. Die Kampagne begrenzt zum einen die maximalen Kontakte und versucht zum anderen, den User durch den von uns vorbereiteten Pfad an Werbemitteln zu schicken. Eine gesteuerte Frequenz wird die Zahl der User mit einer gesteigerten Werbeerinnerung erhöhen, da es weniger User mit sehr geringen Kontaktzahlen gibt und nicht vom User gesehene Ads ausgeglichen werden können.


Das Storytelling ist der Kern dieses Artikels und die Technologie zahlt natürlich besonders auf diesen Faktor ein. Kehrt ein wiederkehrendes Motiv immer wieder zurück, so wird es die Awareness der Kampagne unterstützen. Dazu können kurze Werbekontakte in mehreren Kontakten zu einer Geschichte zusammengeführt werden, also fast wie bei einem Stück Shakespeare in mehreren Akten gedacht. So legen sich neue Optionen dar, die es ermöglichen, Themen, Stimmungen und Inhalte deutlich besser zu platzieren. Es könnten gar Charakterentwicklungen und unerwartete Plot-Twists verwendet werden.


Die für die meisten Advertiser spannendste Charakterentwicklung ist die des Users entlang des Sales-Funnels. Auch hierzu kann das Tool genutzt werden. Besonders spannend ist die Möglichkeit, verschiedene Formate in die einzelnen Kontakte setzen zu können, um so innerhalb einer Kampagne einen kleinen Sales-Funnel aufzumachen. Beginnt man mit Video-Ads oder großformatigen Display-Ads, so kann erst eine Geschichte erzählt werden, um möglichst große Awareness zu schaffen, um dann den User mit Anzeigen anzusprechen, die vor allem auf Performance-Kennzahlen abzielen. Der große Vorteil hier ist, dass man auch User erreicht, die noch nicht auf der Website waren, durch die Kampagne aber in einem kürzeren Zeitfenster Awareness aufgebaut haben sollten.

Wir fassen zusammen

Akt 1: Wir merken, dass es immer schwerer wird, Awareness aufzubauen. Die Werbekontakte werden immer kürzer.

Akt 2: Wir finden Technologien und Tools, um die User besser zu erreichen und per Storytelling anzusprechen.

Akt 3: Wir bauen kleine Funnel in unsere Kampagnen ein und schaffen damit eine stärkere Steigerung der Awareness und verbinden diese gleich mit Performance-Aspekten



Literatur

Miller, D.: Building a StoryBrand: Clarify Your Message So Customers – 240 S.,
HarperCollins Leadership, 2017.