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Newsletter aus Timeline-Content: Fluch oder Segen?

Tools können automatisch Newsletter aus Beiträgen erstellen, die man in sozialen Netzwerken teilt oder likt. Die Frage ist nur: Ist das sinnvoll?
Markus Pflugbeil | 15.01.2018
Read it later - lies es später: Das war mal ein Tool, mit dem man sich Texte aus dem Internet speichern konnte, um sie später zu lesen. Eine Online-Artikelsammlung in der frühen Cloud sozusagen. Später kam dann eine Offline-Komponente hinzu, die das Lesen im Flugzeug oder Zug, als WLAN noch eine Seltenheit war, erleichterte, in dem man die Artikel herunterladen und synchronisieren konnte (gespeichert wurde meistens nur der Text, der dann in Einheitsformatierung dargestellt wurde). Dann kam Flipboard, zunächst für iOS und deshalb visuell attraktiver, und mit der Verknüpfung mit Bildern, so dass man den Eindruck erhielt, ein eigenes Magazin aus seinen Web-Fundstücken zu erhalten. Read it later wurde damit ein Stück uninteressanter; Flipboard erreichte aber auch nie die breite Masse.

Erst als sich der Sharing-Gedanke des Web 2.0 auch in diesen frühen Tools durchsetzte, wurden sie wieder richtig interessant. Man konnte seine Artikelsammlungen mit anderen teilen; Read it later wurde umbenannt und heißt heute Pocket; beide, Flipboard und Pocket, sind heute nicht mehr nur im Web erreichbar, sondern verfügen über ausgefeilte Apps über die sich Beiträge, speichern, abrufen und teilen lassen. Teilweise lassen sich sogar Nachrichtenquellen einbinden oder Themeninteressen festlegen, ohne Artikel selbst auszuwählen. So wurde das "Kuratieren" attraktiv: Entlang der eigenen beruflichen und/oder privaten Interessen sammelt und verteilt man Informationen. Heute ist das Kuratieren für viele Experten, Influencer und Multiplikatoren eine nicht zu unterschätzende Basis ihrer Online-Reputation: man etabliert sich als Wissensquelle für andere.

Diese Möglichkeiten werden vielfach noch unterschätzt. Insbesondere im deutschen Sprachraum leidet Twitter dabei unter einer ungerechtfertigten Missachtung. Denn Twitter bietet von seiner Grundphilosophie her alles, was einfaches und gutes Kuratieren braucht. Zahlreiche Entwickler haben dieses Potenzial erkannt und versuchen, es zu verbessern und nützlicher für die zu machen, die nicht zu den Twitter-Verstehern gehören. Ein erstes, mittlerweile von mir ungeliebtes Tool, ist paper.li. Hier werden anhand der eigenen Tweets, Likes und Interessenlagen Sammlungen im Magazinstil erstellt und versendet, die aber häufig abwegige Themen enthalten und damit nicht immer reputationsfördernd wirken. Neuer sind Nuzzel und Refind.

Nuzzel etwa untersucht die Tweets der Personen, denen man folgt, und stellt die erfolgreichsten Postings, gemessen an Retweets und Likes, zu einem persönlichen Newsletter zusammen. Selbstverständlich auch wieder mit Möglichkeiten, aus der App zu teilen und längere Artikel zum späteren lesen zu speichern. Es entsteht auch eine Art "Im-Kreis-Newsletter", denn man kann dann wieder den automatisch erstellten Newslettern der Follower von Followern folgen.

Refind dagegen konzentriert sich auf die Dinge, die man selbst liked, teilt und retweetet. Damit wird der Newsletter persönlicher, aber auch eingeschränkter in der Auswahl der Themen und Perspektiven. Mit neuen Plugins für Medium und Chrome, die dazu dienen, Inhalte in Refind zu speichern und wiederzufinden ("refind"), entwickelt sich Refind wohl zum modernen Nachfolger des einst so erfolgreichen Bookmarking-Dienstes delicious.

Die Frage aber, die sich generell stellt, ist, ob Newsletter aus (halb-) automatisch kuratierten Inhalten tatsächlich "echte" Newsletter mit selbst erstelltem Content ersetzen können. Paper.li, dieser automatisch kuratierte Tweet beispielsweise, wird von mir fast immer ignoriert. Ob zusätzliche Funktionen, wie die Möglichkeit Nuzzel oder Refind als RSS zu abonnieren oder die Häufigkeit der E-Mail-Zustellung einzustellen, helfen, die Aufmerksamkeit zu erhalten - im Moment kann ich die Frage nicht bejahen.

Die Lösung sind Newsletter, die aus sowieso bestehenden eigenen Inhalten zusammengestellt werden. Das kann beispielsweise ein Newsletter sein, der regelmäßig aus Bloginhalten erstellt wird. Dafür ist es natürlich notwendig, dass der Blog auch laufend mit neuen Inhalten bestückt wird. Vorteil dieser Methode ist zugleich, dass man sich einen zusätzlichen Speicherort für die Archivierung der Newsletter sparen kann. Die Artikel sind ja dauerhaft im Blog verfügbar. Der Blog wird damit einmal mehr zur Content-Drehscheibe für Unternehmen. Der Content ist dafür exklusiv, einzigartig und idealerweise relevant für die Kunden. Er bietet die optimale Basis für das Content-Marketing, z.B. via Hubspot, oder anderen Automatisierungstools. Wie immer im Web gilt aber auch beim Newsletter: Je mehr Authentizität, desto besser, also sollte eine Prise Persönlichkeit im Newsletter nicht fehlen.

Ich nutze die oben aufgeführten Dienste auch zur Archivierung von Quellen, die ich einmal benötigen könnte – die zusätzlichen Features wie Newsletter oder RSS für ein regelmäßiges „Abo“ sind „nice to have“ bzw. bedürften der konzentrierten Bespielung, etwa durch eigene „Notizen“, die sich hinzufügen lassen, etwa bei Refind. In Wahrheit ist aber auch der "read-it-later"-Gedanke mehr Schimäre als wirklich nützlich, oder wann habe ich die 2014 gespeicherten Links jemals später wieder angesehen. Oder wann habe ich nicht versucht, durch eine schnelle Eingabe in den Suchschlitz das gewünschte oder gar ein aktuelleres Ergebnis zu erhalten und in fast allen Fällen auch bekommen?