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Vorsicht Scheinselbständigkeit: Keine Rosinenpickerei

Timo Schutt | 09.08.2013
Die Kosten des Arbeitnehmers spart sich der Arbeitgeber gern, möchte dabei aber nicht auf die Vorteile des Arbeitnehmers verzichten: Ständige Präsenz und Weisungsgebundenheit. In vielen Branchen hat man die Arbeitnehmer daher von einem Arbeitsvertrag in einen vermeintlich selbständigen Werkvertrag entlassen und sie als „Freie Mitarbeiter“ gehandelt. Langsam nehmen aber auch die Gerichte Fahrt auf und machen dem Geldsparplan einen Strich durch die Rechnung.

Bekanntlich sind Freie Mitarbeiter vom Scheinselbständigen abzugrenzen: Der Scheinselbständige ist nur zum Schein selbständig, bei genauem Hinschauen ist er aber doch als Arbeitnehmer einzustufen: Für dieses genaue Hinschauen ist das Arbeitsgericht (für arbeitsrechtliche Themen wie Lohn, Urlaub, Arbeitsschutz usw.), das Sozialgericht (für die Sozialversicherungsbeiträge) und das Finanzgericht (für die Lohnsteuer) zuständig.

Vielfach kommt die Scheinselbständigkeit aber nicht heraus, da der „Freie“ Mitarbeiter ungern gegen seinen Auftraggeber klagen will, da er Angst hat, ansonsten ganz aus dem Unternehmen herausgemobbt zu werden. Oft aber ist es auch die Unkenntnis der Betroffenen, sich zu Wehr zu setzen.

Immer öfter aber wehren sich zwischenzeitlich die Betroffenen. Während kürzlich schon das Landesarbeitsgericht Nordrhein-Westfalen einen vermeintlichen freien Werkvertrag als Scheinselbständigkeit bewertet hat, bei dem eine Bertelsmann-Tochter verurteilt wurde, hat es nun auch die Daimler IT erwischt: Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat einen angeblichen Werkvertrag mit zwei IT-lern für unwirksam und die beiden zugleich zu Arbeitnehmern erklärt.

Scheinselbständigkeit kann für den (Schein-)Auftraggeber sehr teuer werden: Es drohen nicht nur Lohnnachzahlungen, Urlaubsabgeltungen usw., sondern auch Nachzahlung für Sozialversicherungsbeiträge sowie Steuernachzahlungen plus Säumniszuschläge bis zu 10 Jahre rückwirkend. Außerdem macht sich der (Schein-)Auftraggeber auch strafbar.

Vorsicht ist also geboten, wenn der Freie Mitarbeiter
• Weisungen des Auftraggebers unterliegt,
• eine Visitenkarte des Unternehmens mit seinem Namen hat, ohne dass daraus die Freie Mitarbeiterschaft eindeutig hervorgeht,
• Urlaub beantragen muss,
• zu Betriebsfeiern eingeladen wird,
• einen Parkplatz zugewiesen bekommt,
• Arbeitsmittel des Auftraggebers zur Verfügung gestellt bekommt,
• jeden Monat denselben „Lohn“ ausbezahlt bekommt,
• keinen Gewerbeschein hat,
• nicht als Unternehmer auftritt,
• zu festen Arbeitszeiten erscheint,
• eine uniforme Kleidung des Unternehmens trägt (weil der Unternehmer möchte, dass „alle gleich“ aussehen).

Es kann im Einzelfall ausreichen, wenn nur eines der genannten Kriterien zutrifft; je mehr Kriterien aber erfüllt sind, desto gefährlicher wird es. Natürlich kann es vorkommen, dass zwangsläufig ein Kriterium erfüllt wird, weil es anders gar nicht ginge; umso mehr muss dann der Auftraggeber aber darauf achten, dass er sich von den anderen Kriterien so weit wie möglich fernhält.
Beispiel: Der Freie bekommt Arbeitsmittel vom Auftraggeber gestellt, weil der Auftraggeber genug davon bzw. der Freie keine hat. Dies ist ein Indiz für Scheinselbständigkeit. Hält sich der Auftraggeber jetzt aber umso bewusster von den anderen Kriterien fern, dann wird es vermutlich auch keine Probleme geben.

Möchte sich der Unternehmer bspw. gegenüber seinem Kunden größer machen durch vermeintlich mehr Mitarbeiter, dann darf er nicht nur die gute Rosine (= groß erscheinen) nehmen, sondern muss auch die Nachteile in Kauf nehmen (= Arbeitnehmer bezahlen).

Tabu sind im Freien Mitarbeiter-Vertrag auch übrigens die Vokabeln aus dem Arbeitsvertrag: „Lohn“ heißt beim Freien Mitarbeiter „Vergütung“, „Arbeit“ ist die „Tätigkeit“ oder „Leistung“ usw.

Früher war ein Indiz für die Scheinselbständigkeit, wenn der Freie nur einen Auftraggeber hatte; dies wird heute nicht mehr so streng gesehen.

Thomas Waetke
Rechtsanwalt &
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht