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Zeit für individuelle Teamplayer

Im Gespräch mit Ulrike Stahl, Kooperationsbotschafterin und Autorin des Buches „So geht WIRtschaft!“
Konkurrenz belebt das Geschäft! Der Stärkere gewinnt! Geflügelte Worte, die viele von uns ein Leben lang begleitet haben. Ob in der Schule oder im Beruf, als Angestellter oder Selbstständiger – der Glaube daran sitzt tief, dass das ICH mehr zählt als das WIR. Schließlich sind wir nicht auf Kuschelkurs, sondern im Business. Und die Wirtschaft verlangt Wettbewerb. Nur im Vergleich können wir uns messen, können herausfinden, wer der beste Anbieter ist, gibt es einen Sieger. Genau EINEN! Dabei wäre doch auch Platz für mehrere Gewinner. Vorausgesetzt wir verabschieden uns vom Silodenken, von der Konkurrenzstrategie und dem Verdrängungswettbewerb. Dass an diesem Schritt kein Weg mehr vorbeiführt – gerade im modernen Wissenszeitalter – und der Mut dazu belohnt wird durch ein neues und erfolgreiches Miteinander, zeigt die Erfolgsbotschafterin Ulrike Stahl (www.ulrike-stahl.com). In ihrem neuen Buch „So geht WIRtschaft! Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.“ ist sie dem kooperativen Denken und Handeln auf der Spur – und wir mit ihr in diesem Interview.

Frau Stahl, wir sind doch eigentlich ganz gut gefahren bisher, unserer WIRtschaft geht es soweit gut, warum etwas ändern?

Ulrike Stahl: Was in der Vergangenheit lange gut funktioniert hat, muss ja nicht zwangsläufig auch für die Zukunft richtig sein. Das Problem ist, dass wir alle so sehr an die Konkurrenzstrategien und den Verdrängungswettbewerb des Industriezeitalters gewohnt sind, dass wir leicht übersehen, dass die Umwelt sich gerade massiv ändert. Wir befinden uns mitten im Wissenszeitalter, in dem neue, völlig andere Erfolgsregeln gelten. Die Aufgaben heute sind weitaus komplexer als je zuvor. Sie erfordern mehr eigenständiges Denken und damit mehr Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Je komplexer eine Aufgabenstellung ist, umso bedeutender sind unterschiedliche Perspektiven, um sie zu lösen. Einzelkämpfer in Elfenbeintürmen kommen da nicht weiter. Expertenwissen alleine hat nur Wert, wenn es mit anderem Expertenwissen kombiniert wird. Und das wiederum erfordert die Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten und zwar auch gerade dann, wenn sie ganz anders sind und denken.

Wer das übersieht, läuft Gefahr, den Anschluss zu verpassen oder im schlechtesten Fall sogar auf der Strecke zu bleiben?

Ulrike Stahl: Richtig! Vor kurzem habe ich selbst erlebt, wie leicht es passieren kann, dass man den Anschluss verpasst. Ich sitze am Gate in einem Flughafen, in dem ich das erste Mal bin. Alles in bester Ordnung, so scheint es. Bis ich aus dem Lautsprecher höre „Ulrike Stahl. Last call.“ Da fällt mein Blick auf die Anzeige über dem Counter. Guatemala-City? Da will ich nicht hin! Gate 11? Ich muss doch zur Nummer 9! Ich raffe meine Sachen zusammen und sprinte los. Als offensichtlich Letzte betrete ich das Flugzeug, lasse mich in meinen Sitz fallen und während sich mein Puls langsam wieder beruhigt, wird mir klar, dass ich dem „Pippi-Langstrumpf-Effekt“ auf den Leim gegangen bin. Unser Gehirn macht sich die Welt, wie es ihm gefällt. Und am besten gefällt es ihm, wenn es vorhandene Muster auf neue Situationen anwenden kann. Das spart Energie. Ich habe die Hinweise auf das richtige Gate schlichtweg ignoriert oder ausgeblendet. An diesem Flughafen wurden die Gates absteigend und nicht aufsteigend nummeriert, so wie es mir logisch erscheint. Ich hätte mich also unter dem Schild „Gate 9 & 11“ in die andere Richtung wenden müssen. Und dann natürlich die Abflugzeit, die Angabe des Zielortes und die Nummer des Gates über dem Counter – alles offensichtlich, nur nicht für mein Gehirn. Von genau dieser Ignoranz sind wir auch im Business bedroht. Gerade wenn wir meinen, es läuft doch, übersehen wir leicht die Signale, dass sich die Erfolgsregeln ändern.

Apropos Gehirn und alte Denkmuster – wie bereit sind wir im Denken und Handeln für den von Ihnen geforderten Wandel hin zu mehr Kooperation?

Ulrike Stahl: Die gute Nachricht: Wir haben alle Anlagen, die es dafür braucht. Wir müssen uns nur daran gewöhnen, sie öfter zu nutzen. Und das beginnt mit einer zeitgemäßen inneren Haltung, die auf der W.I.R.-Formel beruht: W wie Wertschätzung, I wie Interessen maximieren, R wie Reise.

Sicherlich eine spannende Reise, aber seinen Mindset verändern, das kann nur jeder selbst und freiwillig tun, oder?

Ulrike Stahl: Genau! Kultur ist, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Jeder, der beginnt, seinen Mindset mehr in Richtung der W.I.R.-Formel zu verschieben, trägt dazu bei, die Rahmenbedingungen zu verändern. Deshalb verstehe ich mein Buch auch nicht als erhobenen Zeigefinger. Es soll stattdessen durch unterschiedlichste Kooperationsbeispiele Denkanstöße liefern, Stoff zum Reflektieren und Diskutieren bietet. Vor allem soll es aber einen Ausblick darauf geben, wie wir in Zukunft erfolgreich sein können, indem wir unsere natürliche Gabe, kooperativ zu denken und zu handeln, so selbstverständlich in unser Berufsleben integrieren, wie das bisher für den Wettbewerb galt. Und das Schönste ist, all das lohnt sich, denn Kooperation verändert die Perspektive, macht kreativer, fördert das persönliche Wohlbefinden, schafft ein besseres Arbeitsklima und macht Menschen sowie Unternehmen
erfolgreicher.

Unser Arbeitsalltag zeigt, dass viele Männer über ein funktionierendes Netzwerk verfügen und davon mächtig profitieren. Frauen tun sich oft schwerer damit. Können diese ebenfalls lernen, sich kooperativ zu organisieren – anstelle einsam mit Trial & Error Lösungen zu suchen?

Ulrike Stahl: Worin Männer besser sind, da gebe ich Ihnen recht, ist, sich innerhalb ihres Netzwerks konsequent Kuchenstückchen zuzuschieben, die sie sich aber individuell erarbeiten. Kooperation heißt mehr, nämlich den Kuchen gemeinsam größer zu machen. Aus meiner Erfahrung fällt es Frauen meist sogar leichter als Männern, sich mit Problemen und Fragen an andere zu wenden. Deshalb sind sie auch offener für Zusammenarbeit mit anderen. Was sie versäumen ist, gemeinsam den größeren Kuchen anzustreben, indem sie sich lohnenswerte Ziele setzen und dann auch dafür sorgen, dass sie ihren gerechten Anteil davon erhalten. Das Buch zeigt, warum sich das gemeinsam lohnt und wie man sich dafür richtig organisiert.

Wann und warum haben Sie eigentlich für sich das Kooperationsprinzip entdeckt? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ulrike Stahl: Ich komme aus einer Familie mit fünf Kindern, da meint man, ich sollte das im Blut haben. Aber der Wunsch, etwas Besonderes zu sein, hat mich zunächst im Leben eher auf einen Einzelkämpferpfad geschickt. Leistung bringen war mein Credo. Und dazu haben wir ja schon in der Schule gelernt, dass Leistung, sprich eine Note, nur etwas wert ist, wenn man es alleine schafft. Mein Streben nach Erfolg hat mich bereits in sehr jungen Jahren in eine Führungsposition in der Verwaltung gebracht, aber andererseits auch in eine Einbahnstraße geführt. Das wurde mir bewusst, als ich 1999 ein Hilfsprojekt auf einem Kongress der Vereinten Nationen auf Kuba vorstellte. Mich faszinierte der offene, unterstützende und vor allem miteinander-orientierte Umgang der Teilnehmer. Das ließ mich nicht mehr los. Davon wollte ich mehr. Nur wenige Monate später verließ ich mein sicheres Beamtendasein und ging nach Mexiko, um bei den Vereinten Nationen, der größten Kooperation weltweit, mehr über Zusammenarbeit zu lernen.

Einige große und sehr erfolgreiche Unternehmen arbeiten bereits kooperativ. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Kooperationsangebote trotzdem immer noch oft Misstrauen hervorrufen?

Ulrike Stahl: Unsere Erziehung und unser Schulsystem beruhen auf dem Wettbewerbsprinzip. Wenn wir nicht der Erste, der Beste sind, haben wir keinen Erfolg, bekommen wir nicht die guten Noten, den begehrten Studienplatz, den Wunscharbeitsplatz. Obwohl in jeder Stellenanzeige Team- oder Kooperationsfähigkeit vorausgesetzt wird, wird im Unternehmen die Einzelleistung bewertet und belohnt. Mit dieser Prägung erscheint es uns schnell suspekt oder sogar lästig, wenn jemand etwas gemeinsam mit uns machen will. Meint der andere uns ausnutzen zu können? Kann ich selbst genug herausholen? Bin ich stärker oder schwächer? Lohnt sich überhaupt der Zeitaufwand? Und dann die ganzen menschlichen Komplikationen. Viele denken dann: Wenn ich es alleine mache, weiß ich wenigstens woran ich bin.

Zumal viele Menschen ebenso wie Unternehmen ja auch den Wettbewerb schätzen, das Vergleichen mit den Leistungen anderer, weil es uns – siehe Sport – zu Spitzenleistungen führt, oder?

Ulrike Stahl: Es geht nicht darum, Wettbewerb zu verteufeln und ihn komplett aus unserer Welt auszuschließen. Konkurrenz ist ein genauso natürlicher Teil von uns wie Kooperation. Es geht darum, zu erkennen, dass sich die Umweltbedingungen geändert haben und dass das, was uns bis hierher erfolgreich gemacht hat, immer mehr in die Erfolglosigkeit führt. Wer auch in Zukunft erfolgreich sein will, kommt nicht umhin, jetzt sein volles Kooperationspotenzial zu aktivieren und es immer öfter bewusst zu nutzen. Wenn wir dem W.I.R.-Mindset folgen, werden wir bemerken, wie es immer selbstverständlicher wird, mit unserem Tun, die Interessen möglichst vieler zu befriedigen, anstatt nur unsere eigenen. Und wir werden uns immer öfter auf die spannende Reise in neue Kooperationsräume begeben, um zu erleben, wie wir dort wachsen und gemeinsam gewinnen.

Müssen wir auf dem Weg dorthin irgendetwas beachten?

Ulrike Stahl: Ja zwei Punkte sind wichtig. Erstens: Kooperationen oder kooperationsfördernde Maßnahmen sind immer nur so erfolgreich, wie die beteiligten Menschen in der Lage sind, auch unter Stress kooperativ zu denken und zu handeln. Und zweitens: Offensichtlich sind wir – je nach Situation – sowohl in der Lage zu konkurrieren als auch zu kooperieren. Die Frage ist nur, inwieweit wir in der Lage sind zu kontrollieren, in welcher Situation wir welches Verhalten zeigen. Gut ist, dass uns die Natur eine Art Hybridantrieb mitgegeben hat, der uns erlaubt, in der Gemeinschaft zu leben, gleichzeitig aber auch eine eigene Identität zu entwickeln und persönlich zu wachsen. Deshalb lade ich die Leser meines Buches auch auf eine Reise ein. Eine Reise, bei der das WIR gewinnt und jedes ICH seinen verantwortungsvollen und souveränen Platz hat.

Frau Stahl, vielen Dank für dieses spannende Gespräch!