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Zukunft Training: Vollkost oder Snacks?

In Sachen Training und Weiterbildung hat uns die Krise alle erst einmal auf Nulldiät gesetzt - Wissensernährung neu gedacht
Tanja Dill | 19.03.2021
Tanja Dill in der Küche © Tanja Dill
 

Unternehmen stornierten von einem auf den anderen Tag sämtliche Präsenztrainings. Trainer und Trainerinnen starrten mit offenem Mund auf ihre leeren Kalender. Mitarbeitende wurden ins Home-Office geschickt. Personalentwicklung fand für sie entweder online oder gar nicht statt. Heute, ein Jahr später, wissen wir, dass die Welt der Personalentwicklung nicht stehengeblieben ist. Sie hat sich verändert. Und nicht alles ist schlechter geworden. Im Gegenteil!

Von der Vollkost zur Fasten-Kur

Von der bisher präferierten Trainings-Vollkost auf strenge Nulldiät zu wechseln ist keine Lösung für die Zukunft! Denn gerade das Thema Home-Office hat neue Unsicherheiten mit sich gebracht: im Umgang der Mitarbeiter miteinander, durch das Auftreten von Performance-Einbrüchen oder aufgrund von Zweifeln, ob die Mitarbeiter zuhause überhaupt produktiv arbeiten können.
Mitarbeitende im Home-Office waren insofern allein gelassen, weil der informelle 
(Wissens-)Austausch nicht mehr wie gewohnt stattfinden konnte. Doch es gibt weiterhin den Hunger und auch die Notwendigkeit nach Weiterentwicklung der Mitarbeitenden und natürlich auch der Führungskräfte.
Allerdings unter einer neuen Prämisse: Training und Weiterbildung sind weiterhin gewünscht, nur nicht in Präsenz von anderen Teilnehmenden
Für mich als Trainerin bedeutete dies: Ich musste meinen Kochstil ändern! 

Mein bisheriger Kochstil

Bis Mitte des letzten Jahres war für mich fast jede Trainingsanfrage gleichbedeutend mit einem 8-Stunden Präsenztraining. Die Frage war nur: wie viele Tage insgesamt? Schließlich habe ich das immer schon so getan und auch in der Vergangenheit so gelernt. Also schaute und hörte ich mich um, wie andere Trainerköche ihren Brei jetzt wohl kochten.
Gefühlt alle Trainer und Coaches traf ich plötzlich täglich auf sämtlichen Social-Media Kanälen. Ganz weit vorne waren die Themen: „Wie führe ich aus dem Home-Office“ oder „DOs and DONTs in Online-Meetings“. Der Webinar-Markt wurde überflutet. Ich war frustriert! Fühlte mich unter Druck gesetzt, jetzt auch alles Online machen zu müssen, wo mir das persönliche Miteinander doch so wichtig war. Mehr oder minder liebevoll gezwungen hat mich dann ein Kunde, der unbedingt das Training im Online-Format haben wollte. Ok, dann ab ins kalte Wasser - für Dich, lieber Kunde! 

Heute bin ich froh gesprungen zu sein. Ich lernte schnell das Kochen in der Online-Küche! Ich fand immer mehr Gefallen daran, Methoden zu entwickeln, die den Teilnehmenden schmecken, die ihre Weiterentwicklung unterstützen und die vor allem auch Spaß machen.

Doch nach 6-8-Stunden Online-Training bin nicht nur ich als Trainerin müde. Alle Teilnehmenden sind erschöpft und „überfüttert“ mit Wissen. Natürlich war das auch nach einem Tag Präsenztraining so, allerdings anders. Nach einem Online-Training war ich allein, plötzliche Ruhe, kein sanfter Ausklang. Kein netter Small-Talk noch zum Abschluss mit den Teilnehmenden. „Meeting für alle beenden“ und aus!

Nur Fasten geht auch nicht

Nach einem Jahr Online-Marathon setzte Verdruss ein. Viele mochten auch nicht mehr den ganzen Tag vor der Kamera sitzen. Sich von Meeting zu Meeting klicken, ohne dabei den netten Small-Talk mit den Kollegen*innen abhalten zu können. Das war und ist für viele eine Art Isolation. Eine Online-Müdigkeit machte sich breit. Viele möchten gerne wieder ins Büro, zumindest mal vereinzelte Tage. Man möchte Kollegen*innen wieder treffen und einfach nur mal persönlich reden. 
Mir als Trainerin geht es genauso: mir fehlen meine Teilnehmenden. Mir fehlt die Nähe, die komplette Körpersprache und nicht nur der obere Teil eines Menschen am Bildschirm. Ich mag keine Initialen in Kreisen auf dem Bildschirm mehr anschauen. Das Reden nur mit dem Loch am oberen Bildschirmrand ließ mich manchmal denken, ob ich nicht langsam abdrifte. Ich will wieder raus in die Unternehmen. Leider geht es noch nicht, und ich muss Geduld bewahren. 
Doch in jeder Krise steckt bekanntlich eine Chance. Und so auch in meiner eigenen persönlichen „Krise“: ich habe das Format der Online-Trainings auch schätzen gelernt. Sicherlich nicht immer und ausschließlich. Doch die ungewollte Diät mit der Umstellung auf das Fasten hat meinen Blickwinkel verändert. Ich erkannte die Chancen, die Online-Formate liefern und wie eine Kombination von Online- und Präsenzformaten eine wertvolle Nahrungsergänzung hin zu einer gesunden und nachhaltigen Wissensernährung ergeben können.

Eine mögliche Alternative: Wissenssnacks

Ein Kunde von mir hat im letzten Jahr alle Präsenztrainings aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt und auf Mitte 2021 verschoben. Er hatte die Hoffnung, zu diesem Zeitpunkt wieder gemeinsam die Präsenztrainings durchführen lassen zu können. Es ging um das Thema „Gelungene und professionelle Kommunikation am Telefon im Kundenservice“. Ich fragte dann spontan: „Und was passiert in der Zwischenzeit mit der Kommunikation zum Kunden? Wollen Sie das einfach brach liegen lassen bis zum nächsten Jahr?“ Die klare Antwort war: „Nein!“ Dafür steht das Thema zu sehr im Mittelpunkt. 

Doch was tun? Die Präsenztrainings in Online-Trainings verwandeln? Nein! Das Thema war behaftet mit inneren Hürden seitens der Teilnehmenden. Von daher war mir wichtig, die Leute persönlich zu sehen und kennenzulernen, eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen. Deshalb entschieden wir uns für eine sogenannte „Snack-Reihe“ bis zur eigentlichen „Vollkost“ dem Präsenztraining. 

Die Zubereitung der Snacks 

Die Trainings wurden so aufgebaut, dass wir mit einem einstündigen Kick-Off starteten. Alle Teilnehmenden wurden zu einer einstündigen Online-Session eingeladen. Ziel war es, mich als Trainerin und Mensch kennenzulernen und natürlich auch umgekehrt. Daraufhin wurde eine Erwartungsabfrage (anonym) in die Runde geschickt mit verschiedenen Fragestellungen zum zukünftigen Kommunikationstraining (z.B. „Für welche Gesprächssituationen am Telefon wünsche ich mir noch Tipps oder Handlungsalternativen?“) Die Auswertung wurde mir zugeschickt. Ich habe die Antworten geclustert und in Blöcke sortiert. Aufbauend auf diesen Ergebnissen bereite ich nun die „Snacks“ vor. Jeden Monat findet nun eine einstündige Online-Session mit ca. 20 Teilnehmenden statt. Grundsätzlich schätze ich als Trainerin keine Frontalbeschallung. Von daher sind die Snacks als interaktive Lerneinheiten angelegt, mit Diskussionspunkten und offenen Fragerunden zu dem jeweiligen Thema. 
Das Ergebnis ist (auch wieder nach einer internen Umfrage), dass diese kurzen Online-Formate mit jeweils einem Thema sehr gut aufgenommen werden. Ein konkretes Feedback lautet: „Ich finde diese kurzen Inputs fast noch geschickter als eine längere Schulung: Der Mensch kann nur eine gewisse Menge an Daten auf einmal aufnehmen, und mit kurzen Schulungen ist eher sichergestellt, dass etwas hängenbleibt.“
Zwischen den Online-Sessions bekommen die Teilnehmenden noch ein Arbeitsheft, mit dem sie dann Gesprächssituationen mit Kunden notieren können. So haben wir im späteren Präsenztraining auch genügend Praxisbeispiele, um damit nah an der Realität trainieren zu können.
Diese Art von kurzen Lerneinheiten war keine neue Erfindung. Bekannt ist sicherlich in diesem Zusammenhang der Begriff Microlearning. Microlearning „...ist eine Form des Lernens in kleinen Portionen, häufig auch unter Verwendung von spezieller Software auf dem Computer oder dem Smartphone.“ (Stangl, 2021).
Der Unterschied ist: hier handelt es sich nicht um ein Stück Software, sondern mich selbst im direkten Kontakt mit den Lernenden. 
Kurze, fokussierte Online-Trainings, die auf ein bestimmtes Lernergebnis zugeschnitten sind, können so gestaltet werden, dass sie einen eigenständigen Snack bilden, der einen gezielten Lernprozess ermöglicht. Als Teil eines längeren Lernpfades, in diesem Fall „Professionelle Kommunikation am Telefon“.

Snacks für Zwischendurch sind gut

Die Vorteile der Online-Snacks: das Wissen wird häppchenweise vermittelt und kann so besser verdaut werden. Die Teilnehmenden können gut bei der Sache bleiben, weil sich die Konzentrationsphase auf einen kurzen Zeitraum beschränkt.
Auch aus Sicht der Unternehmen ist dies eine wertvolle Alternative: die Teilnehmenden müssen nur für 2-3 Stunden verplant werden und nicht für einen kompletten Tag. 

Die Einnahme von Snacks über einen längeren Zeitraum sichert die Nachhaltigkeit und den Transfer der Trainingsinhalte in den Arbeitsalltag.
Doch es gibt auch Nebenwirkungen dieser Snacks:
Themen, die mit Ängsten oder Befürchtungen verbunden sind, die ein großes Vertrauen voraussetzen, können in diesem Format nur schwer oder gar nicht umgesetzt werden.


Tipps zur erfolgreichen Wissensernährung

Was passiert nun mit den geplanten Präsenztrainings Mitte des Jahres? Werde ich sie trotzdem durchführen? In diesem Falle ja. Eine Kombination aus Vollkost und Snacks führt hier zu einer Sicherung des Transfers und der Nachhaltigkeit. 
Doch in Zukunft werde ich mit meinem Kunden gemeinsam entscheiden, was der beste Weg zum besten Ergebnis ist. 
Ich verteufle nicht 8-Stunden Präsenztraining. Ich liebe dieses Format weiterhin und führe es mit Leidenschaft durch. Doch um mich und meine Vorlieben in der Wissensernährung geht es nicht. Es geht darum, was der Kunde möchte und was das Beste für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden ist.
Grundlegende Wissensinhalte, z.B. der Aufbau eines Sales-Prozesses, können durchaus als Snacks serviert werden. In unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen zeitlichen Abständen. Andererseits empfehle ich komplexe Themen, die z.B. innere Widerstände hervorrufen, in Präsenz durchzuführen. 

Es stellt sich also nicht die Frage: Vollkost oder Snacks, sondern genießen sie beides und sprechen Sie vorher mit dem Ernährungsberater*in und Koch/Köchin ihres Vertrauens.

 

 


Verwendete Literatur
Stangl, W. (2021). Stichwort: 'Mikrolernen'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/25198/mikrolernen (2021-02-06)