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BGH zu Filesharing: Urteilbegründung „Morpheus“ ist da

Timo Schutt | 12.04.2013
Die schriftliche Urteilsbegründung des am 15.11.2012 verkündeten Urteils des Bundesgerichtshofes mit dem schönen Namen „Morpheus“ ist heute veröffentlicht worden. Damit hat der I. Senat nur 5 Monate gebraucht, um die Entscheidung zu Papier zu bringen.

Indes kann den Entscheidungsgründen nicht viel Neues entnommen werden. Die Pressemitteilung des BGH vom 15.11.2012 enthielt bereits die wesentlichen Gedanken des Gerichts.

Nach Ansicht des BGH genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Dazu, die Nutzung des Internets durch das Kind ständig zu überwachen und den Computer des Kindes regelmäßig zu überprüfen, sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben. Mit der gesetzlichen Wertung des § 1626 Abs. 2 Satz 1, wonach Eltern bei der Pflege und Erziehung eines Kindes die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen sollen, wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Eltern die Nutzung des Internets durch minderjähriges Kind ohne konkreten Anlass regelmäßig kontrollieren müssten.

Bestätigt hat der BGH dabei übrigens nochmals das Bestehen einer gegenüber dem Inhaber eines Internetanschlusses bestehenden tatsächlichen Vermutung der Verantwortlichkeit für eine unter Nutzung des Anschlusses begangene Rechtsverletzung.

Dazu heißt es im Urteil:

„Wird ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder eine urheberrechtlich geschützte Leistung der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht allerdings eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist (vgl. Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 121/08, BGHZ 185, 330 Rn. 12 – Sommer unseres Lebens). Da die Beklagten Inhaber des Internetanschlusses sind, über den die Musikstücke nach Darstellung der Klägerinnen in Tauschbörsen öffentlich zugänglich gemacht wurden, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie für die von den Klägerinnen behauptete Verletzung ihrer Rechte verantwortlich sind.”

Diese tatsächliche Vermutung war aber in dem konkret zu entscheidenden Fall durch die Aussage des Sohnes gegenüber der Staatsanwaltschaft entkräftet, in welcher er ausgesagt hat, selbst die betreffenden Musiktitel heruntergeladen und damit auch gleichzeitig wieder angeboten zu haben.

Es bleibt also bei unserer Einschätzung in unserer Pressemeldung vom 16.11.2012, die wie in Auszügen hier nochmals wiedergeben:

„Fatal wäre es, wenn dieses Urteil so verstanden würde, als ob nunmehr die Eltern keinerlei Sorgfalts- und Prüfpflichten mehr hätten oder sogar aus dem Urteil zu schließen, das illegale Filesharing der Kinder sei nunmehr unproblematisch.

Folgende, in der mündlichen Urteilsbegründung und zum Teil auch in der offiziellen Pressemeldung des BGH ausdrücklich vom Gericht genannte Punkte sind für die richtige Beurteilung der Entscheidung wichtig:

Der BGH hat in seiner mündlichen Urteilsbegründung ausdrücklich betont, dass die Grundsätze aus seiner Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ vom 12.05.2010 (Az. I ZR 121/08) bestehen bleiben. Das bedeutet, dass es nach wie vor so ist, dass der Inhaber eines Internetanschlusses als Störer auch für die Handlungen anderer haften kann. Weiterhin bedeutet dies, dass es dabei bleibt, dass eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass der Inhaber eines Internetanschlusses auch selbst verantwortlich für die über diesen Anschluss begangenen Rechtsverletzungen ist.

Der BGH hat ausdrücklich betont, dass es nicht um die Frage der Störerhaftung und nicht um die grundsätzliche Problematik des Filesharing in dieser besonderen Konstellation ging, sondern ausschließlich um die Frage, wie weit die Aufsichtspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern geht. Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung war damit die Reichweite der elterlichen Aufsichtspflicht nach § 832 Abs. 1 BGB. Die Entscheidung des BGH hat damit keine Auswirkungen auf die Rechtswidrigkeit des Filesharing oder auf die Haftung des Internetanschlussinhabers als Störer oder Täter. Ebenso wenig wurde die Frage der Haftung anderer Mitbewohner oder Mitnutzer des Internetanschlusses behandelt.

In dem zu entscheidenden Fall war unstreitig der 13-jährige Sohn des beklagten Anschlussinhabers Täter der festgestellten Urheberrechtsverletzung. Nur dann, wenn also die Täterschaft des Kindes feststeht, ist die Frage der Aufsichtspflichtverletzung der Eltern überhaupt relevant. Die Grundsätze des BGH können daher nicht gelten, wenn es im Dunkeln bleibt, welcher der Nutzungsberechtigten des Internetanschlusses die Urheberrechtsverletzung begangen hat oder aber, wenn gar die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass fremde Dritte die Rechtsverletzung über den Anschluss begangen haben.

In dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt war es unstreitig, dass die Eltern den 13-jährigen Sohn ausdrücklich über die Gefahren des Internet und die Rechtswidrigkeit des Filesharing belehrt hatten. Diese Belehrung muss von den Eltern nicht nur behauptet werden, sondern im Zweifel auch nachgewiesen werden können. Erst wenn dieses Kriterium erfüllt ist, können die vom BGH in der Entscheidung vom 15.11.2012 aufgestellten Kriterien überhaupt greifen.

Demgemäß bleibt es dabei, dass der abgemahnte Internetanschlussinhaber zunächst innerhalb der gesetzten Frist im Wege der ihm obliegenden Darlegungslast die genauen Umstände der Nutzung seines Internetanschlusses und der Sicherung des Anschlusses erklären muss. Wenn also die besondere Sachverhaltskonstellation, die nun vom BGH entschieden wurde, nicht vorliegt, bleibt es bei den bisherigen Grundsätzen und der Haftung auch der Eltern als Anschlussinhaber.

Haben die Eltern konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ihr Kind die Belehrung und das Verbot des illegalen Filesharing nicht beachtet, dann haften die Eltern dennoch, wenn sie diese Anhaltspunkte nicht zum Anlass nehmen, dass Kind vom weiteren illegalen Handeln abzuhalten. Die konkreten Anhaltspunkte können bereits darin bestehen, dass die Eltern wissen, dass ihr Kind üblicherweise ihren Geboten und Verboten nicht bzw. nicht ausreichend folgt.

Die hier zusammengefassten Umstände des Einzelfalles gilt es zu kennen, um das Urteil des BGH richtig einordnen zu können. Zu früh wird also in Filesharingkreisen gejubelt, wenn teilweise behauptet wird, dass das illegale Filesharing ab sofort nicht mehr verfolgt werden könnte. Im Gegenteil muss damit gerechnet werden, dass jetzt eher die Kinder als Täter in den Fokus rücken müssen, statt der Eltern als Anschlussinhaber. Ob das eine – für alle Beteiligten – gute Lösung ist, darf bezweifelt werden.“

Timo Schutt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht