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Warum Services im Social Web unerwünscht sind

Kundenjäger sind die Helden - Bestandskundenpfleger zählen zur B-Mannschaft
Gunnar Sohn | 05.12.2012
Kontaktpunkte für Services werden von Kunden so wahrgenommen, wie sie von Unternehmen dargeboten werden. Die mangelhafte Social Web-Präsenz von Anbietern mit der geringen Nachfrage zu rechtfertigen, stößt auf Widerspruch:

„Wenn man sich die entsprechenden Angebote in sozialen Medien anschaut, so werden sie von vielen Firmen doch nur sehr unterschwellig präsentiert und sind vielleicht nur einigen wenigen Nerds bekannt“, so Matthias Ledig, Geschäftsführer und Gründer von Social Touchpoint, im ichsagmal-Interview. Das sei kein Zufall. Dahinter stecke System. Dem Kunden werden die klassischen Kanäle wie Hotline-Dienste förmlich aufgedrängt. Soziale Medien und selbst Web-Services fristen ein eher stiefmütterliches Dasein.

„In Massenmärkten ist sogar eine Verweigerungshaltung festzustellen, Kundenservice überhaupt im Social Web zu etablieren. Nur wenige Unternehmen vermarkten ihre Angebote wirklich offensiv“, erklärt Ledig. Mit einer zu geringen Nachfrage habe das Ganze nichts zu tun. Es werden auch nicht die Chancen für Marketing und Vertrieb gesehen. Da regieren eher die Controller, die generell den Service nur als Kostenfaktor betrachten und die Relevanz des Social Webs für die gesamte Organisation unterschätzen.

Teilweise baue man für Kunden absichtlich Hürden ein, Anliegen im Internet schnell zu erledigen. „Da gibt es sogar Vermeidungsstrategien, um Kunden von bestimmten Handlungen abzuhalten – etwa bei Vertragskündigungen. In der Call Center-Branche wird diese sehr hässliche Taktik ‚term prevention’ genannt“, weiß Ledig.

Angebote schaffen die Nachfrage

Besonders die Servicebranche agiere eher innovationsfeindlich, meint Harald Henn, Geschäftsführer von Marketing Resultant in Mainz. Als Gegenbeispiel nennt er die Entwickler der Automobil-Branche. „Da hat kein Kunde je nach einem Hybrid-Fahrzeug nachgefragt; das haben die Hersteller entwickelt und angeboten. Und siehe da: die Nachfrage folgt dem Angebot. Im Kundenservice gelten die gleichen Prinzipien. Die Idee, dass sich Kunden in einer Community selbst helfen, ist von den Kunden nicht aktiv bei giffgaff nachgefragt worden, sondern von einem schottischen Mobilfunk Provider, der gänzlich ohne Call Center auskommt. Aber aus dem latent vorhandenen Bedürfnis hat giffgaff ein funktionierendes und profitables Geschäft entwickelt. Wenn man anfängt, Service als Katalysator für Kundenbindung und Loyalität zu sehen und nicht als unvermeidbaren Kostenfaktor, dann muss man sich in aller Konsequenz gerade hier differenzieren. In stagnierenden Märkten werde die Schlacht dort gewonnen, wo es der Kunde besonders einfach hat.“ Das gelte auch oder besonders für Service-Transaktionen.

Kundenjäger sind die Helden - Bestandskundenpfleger zählen zur B-Mannschaft

Das Bild sei in vielen Branchen das Gleiche, so die Erfahrung der Marketingexpertin Anne M. Schüller: „Alles, was zum Kundenerobern gehört, wird als Investition angesehen, und da wird gern in die Vollen gegriffen. Sobald der Kunde dann ‚Ja’ gesagt hat und Service braucht, wird nur noch von Kosten geredet. Der Webshop ist durchgestylt und die Werbung cool, doch zwecks Auslieferung lässt man ‚Leihsklaven‘ für einen Hungerlohn schuften.“

Zweiklassengesellschaft herrsche auch zwischen Innen- und Außendienst. Die Kundenjäger seien die Helden vom Dienst. „Sie werden hofiert, bestens trainiert und fürstlich entlohnt. Bestandskundenpfleger hingegen sind die B-Mannschaft, die zweite Wahl. Sie werden ins Backoffice – also ins Hinterzimmer - verfrachtet. Oder wir finden sie eingepfercht in den ‚Hühnerställen‘ von Call Centern wieder, wo die Bezahlung mies, die Wertschätzung niedrig, der Frust aber groß und die Fluktuation riesig sind. Und genauso kommt das alles dann beim Kunden an“, kritisiert Schüller, Autorin des Buches „Touchpoints – Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute“.

Erzielte Verkaufsabschlüsse werden unternehmensseitig oft wie ein Endpunkt betrachtet, aus Sicht des Kunden aber seien sie ein Start. Und daran dürfte gar kein Zweifel bestehen: „Melkkühe und treudoofe Goldesel, die sich still und brav mit dem Zweitbesten begnügen, sterben langsam aus. Denn niemand will ein Blödmann sein. Paradox, aber wahr: Während die Anbieter vorne der Konkurrenz teuer die Kunden abkaufen, laufen ihnen hinten die eigenen Kunden weg. Manager sehen anscheinend nur das, was sie gewinnen, nicht aber das, was sie verlieren. Milchmädchenrechnung nennt man so etwas“, moniert Schüller.

Überall-Service gesucht

Die neue Brancheninitiative mit dem trefflichen Namen „i-Service“ will diesen Zustand ändern. „Smartphones und Tablet-PCs ermöglichen es uns, jederzeit und von überall unsere alltäglichen Geschäfte zu erledigen: Preisvergleiche und Direktabschlüsse über das Web, laufende Tarifwechsel beim Telekommunikations-Provider, An- und Ummeldung von Stromzählern oder das Bestellen eines Taxis: E-Mail, Web und Apps bieten eine komfortable Alternative zum Hotline-Anruf. Call Center werden sich in Zukunft zunehmend mit individuellen und komplexeren Aufgaben ihrer Kunden auseinandersetzen. Den Rest des Kundendialogs erledigen dann lernfähige Software-Systeme. Die vernetzte Service-Ökonomie hat längst begonnen, die Geschäftsgrundlage klassischer Kundenservice-Organisationen zu zerstören. Wie alle disruptiven Veränderungen schafft sie aber Raum für jene Anbieter, die geschickt auf die Automatisierung von schriftbasierten Geschäftsprozessen setzen“, so der Ausblick von Andreas Klug vom Kölner Unternehmen Ityx, das zu den i-Service-Initiatoren zählt. Im Social Web dominiere die asynchrone Kommunikation – ein Vorteil für Analyse-Systeme, um das Verhalten der Kunden zu antizipieren.


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