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Journalistenbarometer 2010: Berufsstand in der Krise?

Der Spagat zwischen redaktioneller Freiheit und wirtschaftlichem Druck wird für die schreibende Zunft zunehmend schwieriger
Marketagent.com, eines der führenden Full-Service Online Markt- und Meinungsforschungsinstitute im deutschsprachigen Raum, führt regelmäßig Stimmungserhebungen unter Journalisten durch. 2010 wurde die Studienreihe mit dem mittlerweile fünften Journalistenbarometer erstmals auf die Nachbarländer ausgeweitet, in deren Rahmen heuer rund 2.200 Journalisten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz befragt wurden. Ergebnis: Der Spagat zwischen redaktioneller Freiheit und wirtschaftlichem Druck wird für Journalisten in allen Erhebungsländern zunehmend schwieriger. Rund 60 Prozent arbeiten unter (teils erheblichem) ökonomischem Druck. Sieben von zehn Betroffenen fühlen sich durch das Ökonomie-Diktat in ihrer beruflichen Tätigkeit eher bis stark negativ beeinflusst. Hauptproblem: Journalistische Inhalte werden zunehmend zum Umfeld für Werbekunden. Jeder Zweite sieht die journalistische Qualität in Gefahr.


3 von 5 Journalisten arbeiten unter teils erheblichem ökonomischem Druck

Laut einer aktuellen Studie von Marketagent.com wird der Spagat zwischen redaktioneller Freiheit und wirtschaftlichem Druck für Journalisten in Österreich und den Nachbarländern zunehmend schwieriger. Rund 60 Prozent der insgesamt 2.212 befragten Journalisten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz arbeiten in ihrem Beruf unter (teils erheblichem) ökonomischem Druck (60,7%). In acht von zehn Fällen hat sich dieser in den letzten Jahren verschärft (84,3%), ein Drittel berichtet sogar über einen deutlich stärkeren Druck als noch vor ein paar Jahren (33,0%). Am meisten davon betroffen ist der Online Journalismus („sehr“ bzw. „eher stark unter wirtschaftlichem Druck: 69,1%). Überraschend: Zwischen angestellten Journalisten (61,1%) und freien Mitarbeitern (58,8%) zeigen sich hier kaum Unterschiede. In Österreich fühlt sich rund jeder zweite im Journalismus Tätige unter Druck gesetzt (52,8%), während es in Slowenien „nur“ 39,6 Prozent sind.


Österreichische Redaktionen am stärksten von Personaleinsparungen betroffen

Für den wirtschaftlichen Druck in den Erhebungsländern verantwortlich sind laut Umfrage-Ergebnis vor allem Anzeigenkunden (41,6%), aber auch von interner Stelle werde Druck ausgeübt, vor allem von Herausgeber- (33,1%), Chefredakteur- (30,6%) bzw. Eigentümerseite (26,7%). Knapp zwei Drittel aller betroffenen Journalisten klagen in diesem Zusammenhang über hohen Zeitdruck bzw. Einbußen bei der Recherchezeit (63,9%) sowie insgesamt hohe Arbeitslast (62,3%). 58,2 Prozent sind in der Redaktion von Personaleinsparungen, 46,0 Prozent von Überstunden und 34,7 Prozent von Gehalts- bzw. Honorarkürzungen betroffen. Österreichische Journalisten müssen vergleichsweise etwas häufiger personelle Kürzungen in den Redaktionen als die Kollegen in den Nachbarländern in Kauf nehmen (64,9%). Slowenische Journalisten (50,7%) berichten dagegen fast doppelt so häufig von Gehalts- bzw. Honorarkürzungen wie die Österreicher (28,4%) und Schweizer (24,1%).


Journalistische Qualität und Pressefreiheit als Leidtragende

Die Leidtragenden sind aber nicht nur die Journalisten, sondern vor allem auch die Leser. „Sieben von zehn der betroffenen Journalisten fühlen sich in ihrer beruflichen Tätigkeit durch das Ökonomie-Diktat von Reichweitenstatistiken und Anzeigenverkäufen eher bis stark negativ beeinflusst“, so Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent.com. „In Österreich sind es 68,3 Prozent.“ 28,6 Prozent der Betroffenen aus allen Ländern berichten, dass der dadurch entfachte wirtschaftliche Druck direkt auf ihre journalistische Berichterstattung Einfluss nimmt (Österreich: 25,5%), und zwar bei 42,5 Prozent in starkem bis sehr starkem Ausmaß (Österreich: 39,1%). Hauptproblem: Journalistische Inhalte werden zunehmend zum Umfeld für Werbekunden (77,9%). So kommt es bei fast jedem zweiten Betroffenen oft vor, dass ein bestimmtes Thema auf jeden Fall gebracht werden muss (47,2%), bei 86,7 Prozent passiert dies zumindest fallweise. Dass die journalistische Qualität unter wirtschaftlichem Druck grundsätzlich leide, ist knapp die Hälfte aller Befragten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz „voll und ganz“ überzeugt (47,5%), nur 4,9 Prozent sehen hier wenig bis keinen Zusammenhang.


Zusehends erschwerte Bedingungen für die journalistische Tätigkeit

Die derzeitigen Arbeitsbedingungen für den eigenen Berufsstand werden von rund der Hälfte der Befragten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz als eher weniger bis überhaupt nicht gut eingestuft (53,3%). In Österreich sind es 46,8 Prozent, die sich gegenüber der gegenwärtigen Situation für die schreibende Zunft kritisch äußern. In den letzten Jahren haben sich nach Meinung von drei Viertel der Befragten die Bedingungen für die journalistische Tätigkeit in den betreffenden Ländern grundsätzlich weiter erschwert („eher schlechter“ bzw. „deutlich schlechter geworden“: 77,6%; Österreich: 77,2%). Von einer deutlichen Schlechterstellung sprechen sogar 27,8 Prozent aller Umfrage-Teilnehmer (Österreich: 27,8%).

Danach befragt, wie die weitere Entwicklung des Berufes Journalist eingeschätzt wird, äußert sich rund die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer kritisch. 44,7% beurteilt diese als eher (Österreich: 42,8%), 8,5% als sehr schwierig (Österreich: 8,1%). Trotzdem, drei Viertel aller Befragten würden sich, neuerlich vor die Wahl gestellt, wieder bewusst für den Beruf des Journalisten entscheiden (76,3%), mehr als jeder Dritte sogar auf jeden Fall (36,2%).


Studiensteckbrief:
* Methode: Computer Assisted Web Interviews (CAWI)
* Instrument: Online-Interviews über die Marketagent.com reSEARCH Plattform
* Erhebungszeitraum: 09.09.2010 – 04.10.2010
* Respondenten: Journalisten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz
* Sample-Größe: n = 2.212 Netto-Interviews
* Grundgesamtheit: Journalisten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz
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