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EGMR: Forenbetreiber haften für Nutzerkommentare

Erweiterte Haftung für Forenbetreiber bei anonymisierten Kommentaren? EGMR weist Klage zurück.
Erweiterte Haftung für Forenbetreiber bei anonymisierten Kommentaren?

Erstmals hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit Urteil vom 10.10.2013 (Aktz: 64569/09) die Klage eines großen Internet-Nachrichtenportals in Estland zurückgewiesen, das wegen beleidigender Leserkommentare in seinem Forum zur Rechenschaft gezogen worden ist. Mit ausschlaggebend für die Entscheidung war die Tatsache, dass die Kommentare auf dem Portal ohne Registrierung abgegeben werden können. Ist die Abgabe anonymer Kommentare möglich, besteht nach Ansicht des EGMR für den Forenbetreiber eine erhöhte Sorgfaltspflicht beleidigende und rechtsverletzende Kommentare frühzeitig zu erkennen und zu löschen.

Ausgangsfall

Das estnische Nachrichtenportal Delfi hatte in einem Beitrag über die Konsequenzen berichtet, die die neue Fährrouten der Fährgesellschaft SLK für andere Verbindungen zu einigen Inseln vor der estnischen Küste hätten. Die auf den neuen Routen eingesetzten Eisbrecher beeinflussen unter anderem die Stabilität des Eises was den Bau der preisgünstigeren Autostrecken über das Eis verzögere. Daraufhin hatten sich einige Leser empört und mit Beleidigungen und wütenden Kommentaren auf den Beitrag reagiert. Obwohl das Nachrichtenportal die beleidigenden Kommentare nach Aufforderung durch die Fährgesellschaft noch am selben Tag entfernt hatte, forderte die Firma vom Forenbetreiber eine Kompensation. Die erste Instanz in Estland verweigerte dies unter Verweis auf die europäische Richtlinie über den europäischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 2000/31/EG). Der Forenbetreiber hätte keine Überwachungspflicht (so im Übrigen auch die Rechtsprechung in Deutschland in Anlehnung an das Telemediengesetz). Dieses Urteil wurde aufgehoben und dem Forenbetreiber eine Verantwortung für die Inhalte und Kommentare auch von Dritten auf seinem Forum zugesprochen. Zudem wurde für Delfi eine Geldstrafe, umgerechnet in einer Höhe von 320 € verhängt. Der Oberste Gerichtshof in Estland bestätigte diese Entscheidung. Die Kommentare seien dem Betreiber des Internetforums zuzurechnen, da er hierzu auffordere und auch von diesen wirtschaftlich profitiere. Es sei daher nicht entscheidend, dass er sie nicht selber schreibe. Ab Veröffentlichung des Kommentars läge die Hoheit über diesen beim Betreiber, da nur dieser allein ihn noch löschen könne. Ihn träfe eine Pflicht, Rechtsverletzungen zu verhindern, dies habe er nicht getan. Durch diese Entscheidung sah sich der Betreiber des Internetportals in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt und reichte daraufhin Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

Urteil des EGMR

Die Richter des EGMR entschieden, dass das estnische Urteil ein berechtigter und angemessener Eingriff in das Recht des Portalbetreibers auf freie Meinungsäußerung sei. Obwohl die Leserkommentare höchst offensiv waren, hat der Forenbetreiber keine ausreichende Vorsorge getragen, um eine Veröffentlichung der beleidigenden Kommentare zu verhindern. Die Maßnahmen, die Delfi zur Vermeidung rechtsverletzender Kommentare ergriffen hat, erwiesen sich als ungenügend. Trotz Wortfilter, die bei Verwendung bestimmter vulgärer Wörter zum automatischen Löschen von Kommentaren führten und einem Button über den die Nutzer den Betreiber auf beleidigende Kommentare hinweisen konnten, konnte eine Vielzahl beleidigender Kommentare veröffentlicht werden. Die Kommentare waren zudem über einen längeren Zeitraum von sechs Wochen öffentlich zugänglich und wurden durch den Forenbetreiber erst nach Aufforderung der Fährgesellschaft gelöscht.

Für eine Haftung des Forenbetreibers spricht nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs weiterhin, dass der Forenbetreiber die wirtschaftlichen Vorteile aus den Kommentaren zieht. Aufgrund dessen treffe ihn eine größere Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der Kommentare und der Verhinderung von Rechtsverletzungen Dritter. Dieser sei er aber nicht nachgekommen, insbesondere auch, weil er es den Autoren der Kommentare ermöglicht hat anonym zu bleiben. Aufgrund der Anonymität der Autoren der beleidigenden Kommentare, konnte die Fährgesellschaft auch keine Ansprüche direkt gegen diese geltend machen. Daher sah es das Gericht als angemessen an, stattdessen Ansprüche gegen den Forenbetreiber geltend zu machen. Auch dies wurde nochmals damit begründet, dass der Forenbetreiber ja auch den wirtschaftlichen Nutzen aus den Kommentaren zieht und daher auch die Haftung ihm zuzurechnen sei.

Die vom estnischen Gericht verhängte Geldbuße in Höhe von 320 € sah der Gerichtshof auch als verhältnismäßig an. Zudem haben die estnischen Gerichte dem Forenbetreiber auch keine Vorgaben gemacht wie er die Rechte Dritter in Zukunft schützen sollte, welche sein Recht auf freie Meinungsäußerung gegebenenfalls zukünftig beschränken würden.

Rechtslage in Deutschland

Der Fall wirft die Frage des Umfangs der Haftung eines Forumbetreibers für fremde Nutzerkommentare neu auf. In Deutschland darf es mittlerweile als anerkannt gelten, dass für Forenbetreiber keine allgemeine Überwachungs- und Prüfungspflicht für die Drittinhalte besteht (so auch das Telemediengesetz), da dies eine technische, personelle und wirtschaftliche Überforderung darstellen würde. Dass eine solche manuelle Prüfung der (fremden) Einzelinhalte nicht zumutbar ist, hat auch der BGH in seinem Urteil vom 22.07.2010 zugunsten von eBay entschieden (Aktz. I ZR 139/08).

Eine Haftung für Betreiber eines Meinungsforums besteht nach der derzeitigen deutschen Rechtsprechung erst und nur ab dem Zeitpunkt, ab dem er positive Kenntnis von einem unschwer zu erkennenden Rechtsverstoß hat. Dies geschieht in der Regel durch eine entsprechende Mitteilung des Betroffenen an den Betreiber über den Rechtsverstoß. In seinem wegweisenden Urteil vom 25.10.2011 (Aktz. VI ZR 93/10) präzisierte der Bundesgerichtshof, dass die Mitteilung des Betroffenen so konkret gefasst sein muss, dass der Rechtsverstoß auf Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann. Nicht zugemutet werden kann dem Forenbetreiber eine eingehende rechtliche Überprüfung des Hinweises. Ergibt sich aus diesem Vorbringen hingegen die Rechtswidrigkeit des Eintrags, ist dieser unverzüglich zu löschen. Zusätzlich trifft den Betreiber gegebenenfalls die weitere Verpflichtung denselben Verstoß desselben Nutzers/Kunden im Wiederholungsfalle erneut zu unterbinden. Eine Überspannung der vorherigen Überwachungspflichten würde allerdings zu einer Gefährdung der Presse- und Meinungsfreiheit führen.

Fazit

In Deutschland besteht in der Rechtsprechung in Anlehnung an das Telemediengesetz Einigkeit darüber, dass für Forenbetreiber keine allgemeine Überwachungs- und Prüfungspflicht der Inhalte auf dem Forum besteht. Der Forenbetreiber haftet erst ab Zeitpunkt, in dem er von dem Rechtsverstoß durch einen entsprechenden Hinweis des Betroffenen Kenntnis erlangt hat. Nach Kenntnis ist er allerdings verpflichtet, den entsprechenden Kommentar unverzüglich zu löschen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hingegen stellt bei der Haftung von Forenbetreibern nicht erst auf den Zeitpunkt ab, in dem der Betreiber von dem Rechtsverstoß Kenntnis erlangt hat. Ausschlaggebend für die Haftung des Forenbetreibers ist nach Ansicht des EGMR zum einen die fehlende Registrierungspflicht und zum anderen die Tatsache, dass der Betreiber den wirtschaftlichen Nutzen aus der Abgabe der Kommentare zieht. Auf Grund dessen ist von seiner Seite größere Vorsicht geboten, um Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter zu vermeiden. Erlaubt es der Forenbetreiber, dass Kommentare anonym abgegeben werden, so dass es schwierig ist, den Autor zu ermitteln und gegen diesen Ansprüche geltend zu machen, muss er für die Drittkommentare die Haftung übernehmen. Somit besteht nach neuester Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine weitergehende Haftung der Forenbetreiber für Nutzerkommentare. Auch ohne Kenntniserlangung des Rechtsverstoßes spricht der Europäische Gerichtshof den Forenbetreibern eine größere Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der Kommentare zu, insbesondere wenn der Forenbetreiber die anonyme Abgabe von Kommentaren ohne vorherige Registrierungspflicht ermöglicht.

Ob sich dahingehend auch die Rechtsprechung in Deutschland ändert und zukünftig ein strengerer Maßstab bei der Haftung der Forenbetreiber für Nutzerkommentare auch ohne Kenntnis des Rechtsverstoßes angesetzt wird, bleibt abzuwarten. Wer auf Nummer sicher gehen will, der sollte in Anbetracht der Europäischen Rechtsprechung jedoch darauf verzichten, anonyme Abgabe von Kommentaren zu ermöglichen.