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Wer blickt da noch durch? - Wege aus der Krise

Eine Meinung zu haben, ist nicht schwer. Entscheidend ist, wie sie zustande kam, ob fundiert oder nicht. Es geht um aristotelische Meinungsbildung
Ulf D. Posé | 28.02.2017
Nicht nur der Euro ist unter Druck geraten. Nahezu unversöhnliche Positionen scheinen in der Politik derzeit aufeinander zu prallen. Politiker und Bürger in unserem Land driften ideologisch immer weiter auseinander. Herr Schulz will Schröders Agenda 2010 beenden, Frau Merkel will daran festhalten. Sollen Griechenland und Italien aus der Eurozone austreten oder nicht? Soll das Rettungspaket weiter aufrecht erhalten bleiben oder nicht? Ist die Zinspolitik von Herrn Draghi katastrophal oder nicht? Soll über den amerikanischen Präsidenten ein Kübel Müll und Missgunst ausgeschüttet werden oder nicht? Ist hier ein Psychopath am Werk oder nicht? Spinnen die Engländer mit dem Brexit oder nicht?

Lassen sich solche Fragen überhaupt beantworten? Einige Länder, nicht nur Griechenland und Italien zum Beispiel sind durch falsche Angaben Mitglied in der Eurozone geworden. Gegner kritisieren, Verträge, die durch Täuschung zustande gekommen sind, gelten juristisch nicht. Der Stammtischspruch dazu lautet: „Man sollte schlechtem Geld nicht auch noch gutes Geld hinterher werfen.“ Wichtige Politiker halten dagegen, dass die Rettungspakte ‚alternativlos‘ sind. Andere behaupten, nicht die Bereitschaft, für andere Staaten Hilfspakete bereit zu halten, sind das wahre Problem, sondern die Wettbewerbsfähigkeit der Länder in der Eurozone. Hans-Werner Sinn hält den Euro für gescheitert, der Austritt Italiens aus der Eurozone sei nur noch eine Frage der Zeit.

Auch die Zusammenarbeit mit amerikanischer Politik ist unter Druck geraten. Kann Europa überhaupt mit den Amerikaner politisch zusammenarbeiten bei diesem Präsidenten? Er beschimpft die Presse als Lügenpresse, er selbst hat mehrfach die Unwahrheit gesagt. Ob er gelogen hat, weiß ich nicht, denn eine Lüge ist die bewusste falsche Darstellung eines Sachverhalts.

Ich will hier nicht sämtliche Argumente der Vergangenheit ausführen. Eines bleibt, da scheinen sich alle Beteiligten sicher zu sein: gleichgültig, was wir tun, am Ende verlieren viele Menschen sehr viel Geld, Reputation, Glaubwürdigkeit.

Für den interessierten Bürger ist es derzeit nicht leicht, die Entscheidungen und Vorschläge unserer Politiker zu verstehen oder gar in ihrer Qualität zu beurteilen. Ein solches Urteil wünschen sich aber viele Menschen. Schon Aristoteles schlug mit seinem 'nemo gratis mendax' (niemand lügt ohne Grund) vor über 2000 Jahren vor, wie man zu einem sauberen und verantwortungsvollen Urteil kommt.

Er schlug vor:
1. Niemandem etwas zu glauben, das zu seinem Interesse passt.
2. Nur das zu glauben, was eine interessierte Quelle gegen ihr Eigeninteresse sagt oder tut, oder:
3. Nur das zu glauben, was zwei unterschiedlich interessierte Quellen gleichermaßen behaupten.
Also, wenn zu Beispiel die TAZ etwas Negatives zur AFD schreibt, passt es sicher zum ideologischen Verständnis der TAZ. Das darf ich also nicht glauben. Schreibt zum Beispiel die TAZ etwas Positives über die AFD, verstößt das gegen das ideologische Verständnis der TAZ, ich darf es also glauben. Schreiben TAZ und FAZ, also ideologisch gegensätzliche Tageszeitungen, beide das Gleiche über die AFD, darf ich es ebenfalls glauben.

Wenden wir die aristotelische Urteilsfindung einmal auf die Diskussionen zum Euro, Rettungspaketen etc. an. Das bedeutet, wenn zum Beispiel die Alternativlosigkeit der bisherigen Rettungspakete (248 MRD Euro allein für Griechenland) zu den politischen Interessen der mahnenden Politiker (auch eines Herrn Draghi) passt, dürfen wir das eigentlich nicht glauben.

Wenn der Vorschlag zum Euroaustritt Griechenlands, und demnächst Italiens (?) zu den politischen Interessen der Forderer passt, dürfen wir es ebenfalls nicht glauben. So scheint mir erhebliche Vorsicht geboten bei der Glaubwürdigkeit der derzeitigen politischen Argumente.

Haben wir überhaupt Chancen?

Aber wir haben weitere Möglichkeiten, zu einem verantworteten Urteil über die politischen Empfehlungen zu kommen. Wir können das Ganze aus ethischer Sicht betrachten. Immer wenn wir Schwierigkeiten haben, jedes Detail zu verstehen, zumal uns in der Beurteilung eventuell der ökonomische Sachverstand fehlt, können wir sozusagen von höherer Warte aus das Ganze in seiner Grundsätzlichkeit anschauen.

Gleichgültig, was unsere Politiker tun werden, muss es erlaubt sein zu fragen, mit welchem ökonomischen und ethischen Sachverstand gehandelt wird. Für den ökonomischen Sachverstand sind unsere Volksökonomen zuständig. Ich hoffe sehr, dass deren Sachverstand von den beteiligten Politikern zu Rate gezogen wird.

Aus ethischer Sicht scheint mir wichtig zu sein, die Frage zu stellen, ob folgende ethische Grundsätze zum ethischen Selbstverständnis unserer Politiker und Wirtschaftskapitäne gehören:
Persönliche ethische Grundsätze
• Ich übernehme stets für die überschaubaren Folgen meines Handelns die Verantwortung. (sind sich die einzelnen Politiker bewusst, dass ihre Überlegungen und Äußerungen von ökonomischer Währungskompetenz getragen sein müssen?)
• Ich handle und entscheide stets so, dass das Vertrauen in meine Handlungen und Entscheidungen eher gestärkt, denn gemindert wird. (Versuchen die Konfliktpartner das Vertrauen in den Euro und die Rettungspakete zu festigen oder sind sie nur Streithähne?)
• Ich handle und entscheide so, dass alle Beteiligten niemals nur Mittel sondern jederzeit auch Ziel meines Handelns sind. (Geht es um Wählerstimmen oder um ‚Recht-behalten‘ oder um die Rettung des Euro oder um die Rettung geldmaroder Länder?)
• Ich handle und entscheide stets so, dass das menschliche Miteinander gewahrt und verträglich bleibt mit politischen Zielen. (lösen die Rettungspakete tatsächlich die Probleme und haben sie einen sachlich gerechtfertigten Hintergrund, sind sie auch vom Aufwand her der Sache angemessen und sind die Empfindungen der Bürger in allen beteiligten Ländern berücksichtigt?)
• Ich handle und entscheide stets so, dass die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und in verantworteter Güterabwägung gegeneinander abgewogen werden. (Haben unsere Politiker die Interessen aller Beteiligten im Blick oder nur persönliche Interessen?)
• Ich strebe Konfliktlösungen an, die die Interessen aller Beteiligten optimal befriedigen. (inwieweit dominieren politische Interessen oder Kapitalinteressen oder Bürgerinteressen das Geschehen?)
• Ich schaffe und pflege transparente Strukturen, damit meine Entscheidungen von allen Beteiligten verstanden werden. (sind die derzeitigen Begründungen der Politiker verständlich und für uns Bürger nachvollziehbar?)

Für eine Beurteilung der derzeitigen Empfehlungen verschiedener Politiker kann der interessierte Bürger sich fragen, ob diese Empfehlungen aus seiner Sicht diesen ethischen Grundsätzen standhalten.

Damit auch die Entscheidungen und Empfehlungen der verschiedenen Regierungen aus ethischer Sicht angemessen sind, scheint mit die Einhaltung folgender ethischer Grundsätze wichtig zu sein:
Ethische Grundsätze eines Unternehmen oder einer Regierung:
• Wir handeln und entscheiden stets so, dass die Identifikation mit Entscheidungen eher gefördert, denn gemindert wird.
• Wir gehen mit allen beteiligten Partnern, Bürgern und Interessengruppen stets so um, dass das Vertrauen in unser Handeln gefördert wird.
• Wir handeln und entscheiden stets so, dass die Sicherstellung des Unternehmenserfolges/BIP mit angemessenem Aufwand erreicht wird.
• Wir unterstützen und erwarten von jedem Unternehmens- und/oder Regierungsmitglied eine verantwortungsbewusste Erfolgsorientierung.
• Wir handeln und entscheiden stets so, dass die Öffentlichkeit sich informiert fühlt.
• Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, Hintergründe einer Entscheidung zu verstehen. Dafür schaffen und pflegen wir transparente Strukturen.
• Wir berücksichtigen bei konkurrierenden Interessen die Folgen für alle beteiligten Interessengruppen.
• Wir pflegen und fördern einen ökonomisch und ökologisch sinnvollen Umgang mit Unternehmerkapital/Steuermitteln.

Wenn Sie zu dem Urteil kommen, die jeweiligen Unternehmen/Regierungen handeln nach diesen Grundsätzen, dann sollten wir ihnen vertrauen, auch wenn mögliches Unverständnis uns Sorge bereitet.
Noch eine letzte Überlegung sei hier angefügt. Es scheint sich bei den Überlegungen und Entscheidungen inzwischen um einen handfesten Konfliktfall zu handeln. Auch hier sollten für die Beurteilung der Angemessenheit der Vorgehensweise einige grundsätzliche Überlegungen erlaubt sein. Denn in den derzeitigen Konfliktfällen, ist aus ethischer Sicht ebenfalls zu beachten:
Handelt es sich um einen überflüssigen oder notwendigen Konflikt?
Notwendig ist ein Konflikt genau dann, wenn:
• Unterschiedliche Interessen die gleiche Bedeutung haben,
• Dritte bei einer Nichtlösung unangemessen leiden
Handelt es sich ein einen lösbaren oder unlösbaren Konflikt?
Unlösbar ist ein Konflikt genau dann, wenn
• Unterschiedliche Ideologien der Argumentation zugrunde liegen,
• dogmatische Positionen vertreten werden.
Beherrschen die Konfliktpartner wirkungsvolle Konfliktlösungsstrategien?
Wirkungsvolle Konfliktlösungsstrategien sind
• Strategien, die zu einer schnellen Lösung führen,
• zu einer einvernehmlichen Lösung führen,
• die allen Konfliktpartnern zu einer konstruktiven Zusammenarbeit verhelfen.

Sind die Konfliktpartner überhaupt an einer einvernehmlichen Lösung interessiert? Verzichten die Konfliktpartner auf persönliche Angriffe? (Der Konfliktgegner ist die Sache, nicht die Person) und werden im Konfliktfall konstruktive Lösungen erarbeitet oder nur Probleme dargestellt?

Der interessierte Bürger kann alle hier vorgestellten Punkte in seine eigenen Überlegungen einbeziehen, um zu einem persönlichen, verantwortungsvollen Urteil zu kommen, inwieweit die unternehmerischen/politischen Entscheidungen und Vorschläge akzeptabel sind. Ich wünsche jedem dabei einen fruchtbaren Erkenntnisgewinn.