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Vom Umgang mit Populisten

In schwierigen Zeiten machen Populisten es sich einfach und scheinen damit Erfolg zu haben.Wie können Sie die Pseudo-Argumente der Blender entlarven?
René Borbonus | 15.02.2017
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In schwierigen Zeiten steigt die Tendenz es sich einfach zu machen. Je komplexer die Lage der Nation, desto simpler die Erklärungsansätze – zum Leidwesen aller, die noch selber denken. Die rhetorische Effektivität der Populisten macht uns sprachlos. Gerade das dürfen wir jetzt nicht sein. Zwei ganz einfache Fragen helfen, im Gespräch zu bleiben.
Wir scheinen in wunderbar einfachen Zeiten zu leben. Endlich mal wieder! Wenn man sich das Nachdenken und Nachhaken spart, liegen die Lösungen für all unsere Wohlstandprobleme auf der Hand, in Internetforen und inzwischen sogar schon auf Wahlplakaten: Die da oben müssen weg. Die Flüchtlinge müssen raus. Die Einwanderung gehört gestoppt. Die Gesetze müssen neu. Deutschland muss wieder deutscher werden. Eigentlich alles ganz einfach. Oder?

Das ganze mühselig aufgebaute Fundament der freien Gesellschaft mit seinem Miteinander, oder mindestens: friedlichen Nebeneinander von Weltanschauungen und Lebensentwürfen kann einen ja auch wirklich überfordern. All das Fremde bedroht unsere freie Gesellschaft! Inmitten der ganzen Vielfalt von Meinungen weiß man ja schon gar nicht mehr, wer eigentlich gegen wen ist und wogegen man zuerst protestieren soll. Schnell einen Zaun drum, dann lassen die Schmerzen nach.
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.

Darf man. Man wird allerdings auch widersprechen dürfen. Und wenn Sie mich fragen: Man wird widersprechen müssen.
Jeder, der die freie Welt beschützen will, indem er ihre Freiheit begrenzt, hat irgendwo auf dem Lösungsweg einen Denkschritt ausgelassen. Freiheit und Zäune schließen sich aus. Wer das eine Generation nach dem Mauerfall schon wieder vergessen hat, leidet an einer selektiven Gedächtnisstörung. Darauf müssen wir hinweisen, bei jeder Gelegenheit, und wir tun das
noch viel zu leise. Wir geben den einfachen Erklärungsmustern viel zu viel Raum, weil sie uns mit ihrer schlichten Effizienz erschrecken und sprachlos machen.

Populistische Rhetorik ist rhetorische Gewalt

Wir können uns in diesen Tagen keine Sprachlosigkeit leisten, und doch fällt der rhetorische Widerstand schwer. Möglicherweise liegt das einfach daran, dass es auf den ersten Blick nicht so einfach ist, einfache Wahrheiten zu widerlegen. Sie entziehen sich nämlich der Vernunft, also: der Ratio des Argumentierens.

Was erwidert man denn, wenn einer sagt: „Wir dürfen keine Flüchtlinge reinlassen!“ Die Antwort darauf ist eben nicht einfach, weil es für diese Frage nun mal keine einfache Lösung gibt. Weil wir das ultimative Rezept im Umgang mit der sogenannten Flüchtlingskrise noch nicht kennen. Genauso wenig haben wir eine einfache Lösung für manch andere einschneidende gesellschaftliche Wandelprozesse. Das liegt daran, dass Gesellschaft, also menschliches Miteinander eben keine einfache mathematische Gleichung ist, sondern ein andauernder, nie endender Aushandlungsprozess von Freiheiten und Regeln, Rechten und Pflichten, Vorteilen und Nachteilen.
Eine Gesellschaft, in der dieser Prozess gewaltsam – und damit meine ich auch: mit gewaltsamen rhetorischen Mitteln – unterbrochen wird, ist gescheitert.

Verunsicherte, ängstliche oder auch nur engstirnige Menschen lassen aber nur ultimative Rezepte gelten. Sicherheits-Junkies und Frustrierte verlangen nach schnell wirksamen Drogen. Deshalb stehen leicht dahin gebrüllte Schlagworte wie „Obergrenze“, „Zaun“ oder auch einfach nur „raus“ hoch im Kurs in diesen komplizierten Zeiten. Populisten haben Hochkonjunktur, weil sie einfache Antworten auf hoch komplexe Fragen geben, auf die es keine solchen Antworten gibt, nie
gegeben hat und nie geben wird.
Die Frage ist: Wie kann man den Menschen zeigen, dass es nicht einfach ist und nicht einfach sein kann? Wie kann man den Populisten rhetorisch das Wasser abgraben, die eben diese Einsicht zu verhindern trachten?
Den Menschen die Angst nehmen: Das ist auch nicht einfach. Auch das kann Rhetorik – aber nur, indem der gesellschaftliche Diskurs immer weiter geführt wird und nicht zum Erliegen kommt. Doch die Lüge der Einfachheit zu entlarven, mit der Populisten auf Stimmenfang gehen: Das ist einfach. Das kann Rhetorik sofort. Mit einer kleinen Frage: Und dann?

Wo einfache Argumente an ihre Grenzen stoßen
All die hilfreichen Mittel der Rhetorik, um komplexe Dinge verständlich zu machen, sind nicht vor Missbrauch gefeit. Sie stehen leider auch den Populisten zur Verfügung. Tatjana Festerling, Gallionsfigur von Pegida, hat immer wieder den Beweis dafür geliefert. Sie sei gegen „den Umgang mit Flüchtlingen“ zwischen der EU und der Türkei, hat sie wiederholt betont. Viel konkreter ist sie nicht geworden, denn dann würde es kompliziert werden – dann müsste man in die Details einsteigen, ins wahre Leben der Menschen und die Notwendigkeiten der Realpolitik. Dann müsste man Alternativen aufzeigen. Und dann würde auffallen, dass die einfachen Regeln nicht greifen und dass gegen etwas zu sein eben noch keine Lösung ist.

Stellen wir uns doch einmal vor, die Bundesregierung würde „den Umgang mit Flüchtlingen“ in Form von Allianzen, gewollten wie ungewollten, einstellen. Und dann? Die Flüchtlinge gäbe es trotzdem. Trotzdem würden Menschen durch Krieg und Elend aus ihrer Heimat vertrieben. Sie müssten trotzdem irgendwohin. In Ermangelung von Alternativen: irgendwohin in oder um Europa. Europa wäre immer von diesem Thema betroffen. Wir, aus der völkerrechtlichen Verpflichtung einer wohlhabenden Nation, ganz besonders. Trotzdem. Was würde mit den Menschen geschehen, wenn wir nicht mehr „mit ihnen umgingen“?

Brexit – und nun? Was flache Debatten anrichten können
Populisten erkennt man daran, dass ihre Argumente die Oberfläche eines Diskurses nicht durchdringen. Sie bleiben immer auf der flachsten Ebene einer Debatte stehen. Konkretion ist dem Populismus fremd. Deshalb vermeiden es die Vereinfacher in ihrer Rhetorik, einen Schritt weiter zu gehen: ihre einfachen Lösungen auf konkrete Probleme anzuwenden. Denn das würde die Schwächen der Argumentation offenbaren.
Das böse Erwachen in Großbritannien nach dem Brexit führt uns lebhaft vor Augen, was passiert, wenn nicht gefragt wird: „Und dann?“
Schon einen Tag nach dem Referendum waren die einfachen Lösungen entlarvt. Als die Frage endlich gestellt wurde, zeigte sich: Die Brexiteers haben keine Antworten darauf. Nun ist der Brexit da, und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Für Großbritannien ist es zu spät für „Und dann?“
Machen wir nicht denselben Fehler in Fragen, die über die Zukunft unserer freien Gesellschaft entscheiden. Reden wir mit und reden wir weiter. Nicht indem wir die Populisten „bekämpfen“. Nicht indem wir in die einfachen Muster von „Gut und Böse“ einsteigen. Sondern indem wir hinterfragen und differenzieren. Sachlich.
Die kleine Frage „Und dann?“ zwingt Menschen weiterzudenken. Die einfachen Argumente zu Ende zu denken. Durch unqualifizierte Vereinfachungen hindurch. Im Zweifel: ins Nichts. Mitten in die Anarchie hinein, die die Populisten angeblich verhindern wollen.

Einfache Bilder für einfache Weltbilder
Was für die „Anti-Rhetorik“ gilt, gilt auch für die Metaphern und Vergleiche, die Populisten verwenden. Auf einem Wahlplakat der AfD für die Landtagswahl in Berlin 2016 sind Pfefferspray-Flaschen zu sehen – ihre Brutalität nur getarnt mit dem Verweis auf „Köln“. Nur dieses Wort, das reicht, das ist einfach. Die Botschaft des Plakats leider auch: „Seit ‚Köln‘ haben viele Berlinerinnen ihre Abwehrkräfte gestärkt“, steht da, und: „Die Klugen wählen einfach die AfD.“ Die AfD, das politische Pfefferspray: einfach wegmachen, das Fremde, mit Gift besprühen wie Ungeziefer auf den Feldern.
Und dann? Die Antworten auf diese Frage sind so grausam, so menschenverachtend, dass selbst die Rechtspopulisten sie nicht auszusprechen wagen. Noch nicht.


Wider die rhetorische Hilflosigkeit

Sogar aus den etablierten Reihen der Bundespolitik dringen inzwischen populistische Forderungen an die Oberfläche, um der Stimmenfänger Herr zu werden und die Wähler der Populisten wieder einzufangen. Der Effekt ist der Eindruck von Hilflosigkeit. Als würde man versuchen, einen Ölbrand mit Wasser zu löschen. Der CSU-Politiker Markus Söder etwa hat in die Forderung von Rechtsaußen eingestimmt, Zäune um Deutschland und um Europa zu ziehen. In Saudi-Arabien, hat Tatjana Festerling einmal argumentiert, habe das doch auch bestens funktioniert. Äpfel mit Birnen zu vergleichen, Autokratien mit Demokratien: Die Populisten scheren sich nicht darum, was vergleichbar ist und was nicht.
Auch in der Zaunfrage hilft die Nachfrage: Und dann? Was passiert am Zaun, wenn aus Kriegsvertriebene mit ihren kleinen Kindern davor stehen? Wenn sie versuchen drüber zu klettern? Was tun die Soldaten, die den Zaun bewachen, dann? Einer der Populisten hat sich einmal zu einer Antwort hinreißen lassen und die einfache Lösung einen Schritt weiter gedacht. Nur einen Schritt weiter in Richtung Konsequenzen, und schon war klar: Die einfachen Lösung werden nur funktionieren, wenn wir genau das aufgeben, was die Populisten angeblich schützen wollen: unsere demokratische Grundordnung mitsamt ihren
Menschenrechten. Der Populist, der einen Schritt weiter dachte und sprach, wurde zügig zum Schweigen gebracht.
„Und dann?“ ist die Frage, die den Schrecken hinter den einfachen Lösungen entlarvt. Die Rechtsbrüche, die Tabubrüche, den Bruch mit der demokratischen Grundordnung.

Wenn der Gesprächspartner nicht weiter denkt: den Bezugsrahmen hinterfragen
Ein weiteres Werkzeug, um einfache Argumente zu hinterfragen, ist auch die Frage nach dem Bezugsrahmen: „Worauf beziehen Sie sich?“
Auch dieser rhetorische Baustein entlarvt jedes halbgare Argument im Handumdrehen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Frage auch eine emotional aufgeheizte Debatte sofort abkühlt. Wenn Sie das nächste Mal mit einem Gesprächspartner konfrontiert sind, der meint, irgendetwas sei generell „falsch“ oder gehöre „abgeschafft“ – erkundigen Sie sich doch mal danach, wovon er eigentlich redet:
„Merkel betrügt ihr eigenes Volk!“ Worauf beziehen Sie sich?
„Die Flüchtlinge machen unser Land kaputt!“ Worauf beziehen Sie sich?
„Die Gutmenschen zerstören Deutschland!“ Worauf beziehen Sie sich?
„Die Homolobby ist schuld am Verfall der guten Sitten!“ Worauf beziehen Sie sich?
„Deutschland muss deutsch bleiben!“ Worauf beziehen Sie sich?

Das Schöne an dieser Frage ist: Sie greift niemanden an, sie beleidigt niemanden, sie tut niemandem weh. Vielmehr versachlicht sie die Debatte, indem sie die Faktenebene der Aussage von ihrer emotionalen Ebene trennt. Sie führt dem Gesprächspartner ganz sanft vor Augen, dass er einer hohlen Phrase auf den Leim gegangen ist. Und wenn Menschen einmal anfangen zu denken, dann denken sie im Normalfall auch weiter. Auch dann, wenn sie es erst einmal nicht zugeben wollen und stattdessen das Gespräch beenden.

Hinterfragen hilft. Und wer nicht hinterfragt, hilft niemandem.

Auf einen Blick: Rhetorik kann Brücken bauen
Wir leben nicht in einfachen Zeiten. Wir dürfen es nicht ignorieren, wenn der Komplexitätsgrad der Rhetorik den Komplexitätsgrad der Welt ignoriert. Wir müssen jedem, der sich dazu hinreißen lässt, die Chance zum Weiterdenken geben, die ihm von den Populisten vorenthalten wird. Damit er selbst darauf kommt, dass Rassismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und genauso auch Frauenverachtung und Homophobie eben keine Lösungen sind, sondern nur manipulative Werkzeuge, die einer Demokratie nicht würdig sind.
Wenn Sie einem Vereinfacher begegnen, im Netz oder offline, oder wenn Sie einem Populismus-Opfer eine Brücke zurück in den freien Diskurs bauen wollen:

• Hinterfragen Sie einfache Lösungen mit: „Und dann?“
• Beharren Sie auf der Sachebene mit: „Worauf beziehen Sie sich?“

Ja, Freiheit ist nicht einfach. Deshalb reichen einfache Lösungen auch nicht, um sie zu bewahren. Und die freie Welt ist es doch, um die es uns allen geht, oder nicht?

www.rene-borbonus.de