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Anzeigenbetrug – der neue Drogenhandel

Der Anzeigenbetrug könnte bis 2025 zur zweitgrößten kriminellen Einnahmequelle werden. Darunter leidet auch das Programmatic Advertising.
Bob Hoffman | 12.09.2022
Etwa 20 Prozent der Werbeausgaben fallen Betrügern in die Hände © Freepik / Racool_studio
 

Laut der Zeitschrift Advertising Age und Spider Labs werden weltweit schätzungsweise 20 % der (Online-)Werbebudgets von Betrügern erbeutet. Wenn das stimmt, gehen jährlich über 60 Milliarden Dollar durch Online-Werbebetrug verloren. Juniper Research gab kürzlich eine Erklärung ab, nach der sich der Online-Werbebetrug im Jahr 2022 auf 68 Milliarden Dollar belaufen wird. Zum Vergleich: Der weltweite Anzeigenbetrug wird fast dreimal so hoch sein wie die gesamten Werbeausgaben aller deutschen Unternehmen zusammen.

Die Wahrheit ist, dass niemand das genaue Ausmaß des Anzeigenbetrugs kennt. Aber über eines besteht kein Zweifel - er ist enorm. Nach Angaben der World Federation of Advertisers könnte Ad Fraud bis 2025 die zweitgrößte kriminelle Einnahmequelle der Welt sein, nach dem Drogenhandel.

Aber die Korruption des Online-Werbe-Ökosystems geht tiefer als Betrug. Im Februar haben die Datenschutzbehörden der EU entschieden, dass die Pop-ups zur Dateneinwilligung, die wir "Transparency & Consent Framework" nennen, totaler Schwachsinn und illegal sind. Sie urteilten, dass ...

... personenbezogene Daten nicht so sicher aufbewahrt werden, wie es die Datenschutz-Grundverordnung verlangt.

... persönliche Einwilligungen nicht ordnungsgemäß einholt werden.

... kein rechtlich gültiges "legitimes Interesse" an der Sammlung von Informationen nachgewiesen werden kann.

... nicht transparent ist, was mit den Daten der Menschen geschieht.

... nicht dafür gesorgt wird, dass die Daten im Einklang mit den GDPR-Richtlinien verarbeitet werden.

... sich nicht an die GDPR-Anforderung des "Datenschutzes durch Technik" gehalten wird.

 

Abgesehen davon, ist alles toll.

Programmatische Werbegelder versiegen im Nichts

Unsere Branche ist verschwenderisch und geheimnisvoll. Die ISBA führte eine Studie durch, um festzustellen, welcher Anteil eines in programmatische Werbung investierten Werbebudgets tatsächlich für Werbung ausgegeben wird. Fünfzehn große Werbetreibende, darunter Disney, Unilever und Nestlé, nahmen an der Studie teil, ebenso wie acht Agenturen, fünf DSPs, sechs SSPs und zwölf Publisher. Auch Google und Amazon waren dabei. Die Studie untersuchte das Who-is-Who der Werbetreibenden und Anbieter. Hier die Ergebnisse der Studie: 49 % der Online-Werbegelder werden von Adtech-Zwischenhändlern" abgeschöpft, bevor sie die Publisher erreichen.

Von den 49 % des abgeschöpften Budgets war etwa ein Drittel des Geldes "völlig unauffindbar". In einigen Fällen betrugen die nicht zurückverfolgbaren Kosten sogar 83 %.

Nur 12 % der Werbeausgaben waren vollständig transparent und von Anfang bis Ende nachvollziehbar. Erstaunliche 88 % der Gelder konnten nicht von Anfang zu Ende zurückverfolgt werden.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse sowie von Forschungsergebnissen von Integral Ad Science zur Viewability, der Zeitschrift Advertising Age zum Thema Anzeigenbetrug und von Lumen Research zum Verbraucherverhalten habe ich den sogenannten Programmatic Poop Funnel entwickelt. Hier sehen Sie, was mit einem Werbedollar passiert, wenn er das programmatische Ökosystem durchläuft.

 

Der "Programmatic Poop Funnel" © Bob Hoffman

 

Wir beginnen mit einem Dollar, den wir für programmatische Werbung ausgeben. Im Durchschnitt erhält unsere Agentur 7 % davon als Provision oder Gebühren. Jetzt haben wir 93 Cent. Wir zahlen im Durchschnitt 27 Cent an Technologie-, Targeting- und Datenlieferanten, einschließlich DSPs, SSPs und andere Zwischenhändler auf der Nachfrage- und Angebotsseite. Wir haben jetzt 66 Cent übrig. Die nächsten 15 Cent verschwinden einfach. Die ISBA konnte nicht feststellen, wohin dieses Geld geflossen ist. Sie nannten es das "unbekannte Delta". Es ist Geld, das einfach im System verschwindet. Jetzt sind also alle Gebühren bezahlt, das ganze verschwundene Geld ist weg, und wir haben noch 51 Cent übrig, um tatsächliche Anzeigen zu kaufen.

Leider werden nach Angaben von Integral Ad Science zwischen 30 und 50 % der gekauften Anzeigen nicht sichtbar sein. Seien wir konservativ und nehmen wir an, dass 30 % durch die Nicht-Sichtbarkeit verlorengehen. Damit bleiben uns etwa 36 Cent. Jetzt müssen wir den Betrug berücksichtigen. Nehmen wir die Zahl, die kürzlich von Advertising Age für die USA veröffentlicht wurde, nämlich 20 %.

Damit verbleiben 29 Cent für Werbung, die tatsächlich geschaltet wird und auch gesehen werden kann. Das Problem ist jedoch, dass nur weil eine Anzeige sichtbar ist, Menschen sie nicht unbedingt anschauen. Lumen Research hat herausgefunden, dass nur 9 % der Online-Anzeigen tatsächlich angesehen werden.

Die Quintessenz ist folgende: Für jeden Dollar, den Sie für programmatische Anzeigen ausgeben, erhalten Sie im Durchschnitt 3 Cent an Anzeigen, die tatsächlich von Menschen gesehen werden.

 

Dieser Beitrag ist die gekürzte und übersetzte Version des Vortrags, den Bob Hoffmann im Rahmen der diesjährigen d3con-Konferenz gehalten hat. Er erschien zunächst in seinem Newsletter “The Ad Contrarian".

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Über Bob Hoffman

Bob Hoffman ist einer der gefragtesten Redner zum Thema Werbung und Marketing. Seine fünf Bücher standen auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste.

Kommentare

Christian Kaeßmann

Der programmatische Einkauf von Werbeflächen ist nicht immer zielführend. Zum einen ist die Güte von Zielgruppentargetings gerade bei spitzen Zielgruppen oft nicht gegeben. Starke Über- oder Unterlieferung von avisierter Medialeistung und somit falsch dosierter Werbedruck ist die Folge. Zum anderen steht die Grundsatzfrage im Raum: Schlägt der Preis das Werbeumfeld? Hier geht es um Werbewirkung.

Christian Bachem

Wie auch immer man die Ausführungen von Bob Hoffman wertet – eines ist sicher: Das vermeintlich automatische Programmatic Advertising muss stets eng begleitet werden.
Dabei ist es mit der Zuschaltung von Fraud Detection und Ad Verification keineswegs getan. Denn die Analyse und Aufbereitung der Ergebnisse erfordert viel Zeit und Fachwissen. Und sollte weder den Anbietern, noch Agenturen überlassen werden.

Siamac Alexander  Rahnavard

An Anzeigenbetrug ist wirklich nichts neu. Es wird diesem aber in erheblichem Maße Vorschub geleistet, wenn sich im Rahmen von Werbeschaltungen weiterhin auf rudimentäre KPI beschränkt wird. So ist es schon lange im digitalen, datengetriebenen Umfeld möglich, auf nachgelagerte und für Unternehmen umsatzrelevante KPI hinzuarbeiten, stattdessen gelten aber KPI wie die CTR nach wie vor zum Kassenschlager.