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Facebook: Mit Offenheit an die Spitze

Jüngste Zahlen untermauern den Erfolg der Sozia­len Netzwerke.
Christoph Salzig | 16.09.2009
“Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!” — mit die­sen Wor­ten (nur in platt­deutsch) umschreibt der West­fale seine bis­wei­len zurück­hal­tende Begeis­te­rung gegen­über Neuem. Dass die­ses nahezu in Stein gemei­ßelte Gesetz für die jün­gere Gene­ra­tion schein­bar so nicht mehr gilt, lässt die Lust der soge­nann­ten Digi­tal Nati­ves an Neuem in vir­tu­el­len Wel­ten nur ver­mu­ten. Der Erfolg der Sozia­len Netz­werke indes unter­mau­ert das. Die jüngs­ten Zah­len, die Niel­sen zur Reich­weite und (wie schön, dass es auch noch andere aus­sa­ge­kräf­tige Indi­zien jen­seits des Web­sei­ten­be­suchs gibt) zur Ver­weil­dauer der Sozia­len Netz­werke ver­öf­fent­licht hat, zei­gen, wie rasant sich der Sie­ges­zug in nur weni­gen Mona­ten voll­zo­gen hat. Wobei: Sieg klingt zur sehr nach Ende des Wett­kampfs. Das ist falsch! Nicht nur, dass Face­book–Grün­der Zucker­berg gerade noch ein­mal betont hat, dass sie immer noch ganz am Anfang ste­hen und wei­tere 500 Mit­ar­bei­ter ein­stel­len wol­len, die Wachs­tums­ge­schwin­dig­keit des US-amerikanischen Netz­werks zeigt deut­lich die Ent­wick­lungs­per­spek­tive auf. Auch wenn mit der Popu­la­ri­tät die Pro­fi­ta­bi­li­tät lang­fris­tig Schritt hal­ten muss.

Daran ändert auch die merk­wür­dige Koin­zi­denz nichts, dass nur wenige Stun­den nach­dem “Net­zöko­nom” Dr. Hol­ger Schmidt die Niel­sen­zah­len ver­öf­fent­licht hat, das VZ-Netzwerk (Schü­lerVZ, Stu­diVZ und MeinVZ) ver­kün­dete, dass sie nun­mehr 15 Mil­lio­nen Mit­glie­der hät­ten. Reich­weite ist nicht alles. Immer­hin haben die Kol­le­gen von Niel­sen mit einem 25.000 Nut­zer star­ken Panel geprüft, was diese einen Monat lang im Inter­net gemacht haben. Dem­zu­folge haben sich (extra­po­liert und um Dopp­lun­gen berei­nigt) 8,7 Mil­lio­nen Men­schen im Juli in den VZ-Netzwerken “bewegt”, also sich nicht nur irgend­wann mal regis­triert (so wie ich), son­dern auch etwas dort getan (so wie ich nicht). Invol­ve­ment — das ist die Mess­größe, die für Wer­be­trei­bende und Ver­mark­ter in Zukunft immer wich­ti­ger wird. Inter­es­san­ter­weise ist — quasi ana­log zum Wachs­tum — die durch­schnitt­li­che Ver­weil­dauer der Facebook-User gesun­ken, liegt aber — und in die­sem Punkt wider­spricht, die VZ-Pressemitteilung nicht — mit mehr als zwei Stun­den monat­lich höher als in allen ande­ren Netz­wer­ken. Hinzu kommt der nicht zu ver­nach­läs­si­gens­werte Aspekt, dass Face­book nahezu omni­prä­sent ist, also bspw. auch in Twit­ter–Appli­ka­tio­nen ein­ge­bun­den ist

Ob 15 Mil­lio­nen Mit­glie­der oder 8,7 Mil­lio­nen “Uni­que Audi­ence” (wie Niel­sen es bezeich­net): Zwar lie­gen die VZ-Netzwerke kumu­liert in punkto Reich­weite (noch) an der Spitze. Wann Face­book sie über­ho­len wird und damit die letzte eur­päi­sche Bas­tion end­gül­tig entert, ist indes eher eine Frage von Wochen, denn von Jah­ren. “Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!” — diese Rede­wen­dung könnte — auf die Betrei­ber der deut­schen Netz­werke gemünzt — nach wie vor Gül­tig­keit haben, beschreibt sie doch die Träg­heit, mit der sich die deut­schen Netz­werke nach außen öffnen. Was bei Xing Teil des Erfolgs­re­zepts (Mehr­werte gegen Premium-Account) funk­tio­niert in den rein wer­be­fi­nan­zier­ten Holtzbrinck-Netzwerken (und auch den ande­ren) nicht wirk­lich. API-Schnittstellen zu Twit­ter und ande­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­ten, eine Flut von Anwen­dun­gen, mit denen sich Face­book ver­bin­det und bis­wei­len für eine ziem­li­che Unüber­sicht­lich­keit sorgt — all das belegt letzt­lich vor allem die Offen­heit, mit der den Mit­glie­dern vie­les ermög­licht, aber nichts auf­ge­zwun­gen wird. Diese Offen­heit ist es vor allem, die Face­book so popu­lär gemacht hat. Für die einen ist es eine große Spiel­wiese, auf der Dinge aus­pro­biert wer­den, für die ande­ren wird das Netz­werk mehr und mehr zum vir­tu­el­len Lebens­mit­tel­punkt, der RSS-Reader, Mail-Postfach, Bild/Video-Verwaltung an ande­rer Stelle obso­let wer­den lässt. Die Ankün­di­gung Zucker­bergs wei­tere 500 Mit­ar­bei­ter ein­stel­len zu wol­len, dürfte daher die deut­sche Kon­kur­renz ziem­lich ver­schreckt haben, denn dadurch wer­den sie in ihrem Bestre­ben, mit– und/oder gegen­zu­hal­ten, deut­lich zurückgeworfen.

Dass es für einen Sin­nes­wan­del bei der Aus­rich­tung der eige­nen Platt­form nie zu spät ist und die eigene Com­mu­nity auch grobe Feh­ler ver­zeiht, dafür ist Face­book selbst das beste Bei­spiel. Oder wer erin­nert sich noch an die teil­weise sehr hef­tig geführte Dis­kus­sion um die wenig trans­pa­rente Ände­rung der AGBs bei Face­book? Also: Auf geht’s Ihr Wer-kennt-wens, VZs, MyS­paces und Loka­lis­ten — sucht Euch Euren Platz in den Favo­ri­ten und Desk­tops der User. Der Weg dort­hin führt aber nicht durch den “Schat­ten” von Face­book, son­dern auf einer eigen­stän­di­gen Route. MyS­pace unter­nimmt der­zeit nach mei­ner Ein­schät­zung ganz viel­ver­spre­chende Ver­su­che, sich mehr Pro­fil zu ver­lei­hen und auf eigene Stär­ken (Musik-Community) rück­zu­be­sin­nen. Die Frage, ob die genann­ten Netz­werke ihren eige­nen Weg klar defi­nie­ren kön­nen, ohne als “Facebook”-Abklatsch wahr­ge­nom­men zu wer­den, muss an die­ser Stelle jedoch ernst­haft gestellt werden.


[Erschienen in blog.onetoone.de, 08/09]