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Kundenbindung: Sind die Kunden schon zu verwöhnt?

Je besser der Service, je mehr Kundenorientierung, desto höher die Erwartungen der Kunden. Können die Unternehmen noch auf Kundenbindung setzen?
Jürgen Fleig | 12.11.2009
Manch ein Verkäufer ist von seinen Kunden auch schon mal genervt. Da muss er sich anhören: „Die Jacke würde ich schon kaufen, aber was schenken Sie mir denn dazu?“ Die Verkäuferin schaut ein wenig verdutzt, als der Kunde unverblümt seine Erwartung äußert. Auch die Filialleiterin, die hinzugerufen wird, ist sichtlich irritiert, nach einigem hin und her aber bereit, dem Kunden ein kleines Taschenmesser dazu zu geben. Manche umstehenden Kunden waren amüsiert bis verlegen, wie hier ein offensichtlich nicht bedürftiger Kunde und eine etwas genervte Filialleiterin um eine Draufgabe feilschen.
Am Ende zog der Kunde zufrieden mit seiner Jacke und seinem Messer von dannen im Bewusstsein, noch etwas rausgeschlagen zu haben; sein Jagdinstinkt war befriedigt. Die Filialleiterin konnte aufatmen und stellte fest, auch in dieser Situation freundlich geblieben zu sein und den Kunden nicht verloren zu haben. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Kunden erwarten immer mehr und sprechen dies auch offen aus.
Sind die Unternehmen selbst daran schuld? Um im knallharten Wettbewerb zu bestehen, müssen sie sich von allen anderen abheben.
Die Produkte müssen besser werden, der Service muss besser werden, die Mitarbeiter müssen besser werden – nur der Preis muss runter. In dem Maße, wie Unternehmen es schaffen, ihre Leistungen zu steigern und die Kunden zufrieden zu stellen, in dem Maße verwöhnen sie auch ihre Kunden. Die Folge: deren Erwartungen steigen. Ein Teufelskreis?

So funktioniert die Erwartungsspirale:
Dessen Funktionsweise haben Valarie A. Zeithaml, A. Parasuraman und Leonard L. Berry mit ihrem Gap-Modell schon vor über 20 Jahren erklärt.Sie haben herausgefunden, dass gerade die Qualität von Dienstleistungen, Beratung und Kundenbetreuung ein äußerst subjektives Merkmal ist. Es ist maßgeblich von den Erwartungen des Kunden abhängig und die sind von Erfahrungen aus der Vergangenheit geprägt. Wer besonders positive Erfahrungen mit einem Anbieter macht, überträgt diese schnell auf alle anderen Bereiche und wundert sich, wenn er dort nicht die gleiche hohe Qualität erlebt. So steigen die Anforderungen in dem Maße, wie die Unternehmen versuchen, sie zu befriedigen. Wenn im Fernsehen und in Verbrauchermagazinen über skurrile Fälle von schlechtem Service und Pfusch berichtet wird, dann prägt sich beim Verbraucher noch mehr ein: Das werde ich mir nicht gefallen lassen. Und die Hemmschwelle, sich bei der nächsten Gelegenheit zu beschweren, sinkt erheblich.
Was das Problem für die Unternehmen noch verschärft: Auch beim Preis erwarten viele Kunden Nachlässe und Rabatte. Mit dem Wegfall von Sommer- und Winterschlussverkauf hat kaum ein Einzelhändler noch Hemmungen, das ganze Jahr über prominent mit Rabatten, Prozenten und Sonderaktionen zu werben. Das prägt sich im Gehirn des Kunden ein und treibt seine Erwartungen an Preisnachlässe in die Höhe. Auch hier scheinen sich die Unternehmen ins eigene Fleisch zu schneiden, wie die mit Rabattschlachten erfahrenen Autohändler in den USA leidlich zu berichten wissen.
Was zunächst als Problem zwischen Einzelhandel und Endverbraucher erscheint, hat längst alle Branchen erfasst. Die Hersteller von Investitionsgütern wissen genauso, dass ihre Kunden immer anspruchsvoller werden. Außer Preisnachlässen und immer mehr Produktfunktionen erwarten viele Einkäufer, dass Serviceangebote wie Beratung oder Schulung kostenlos sind. Und das bei höchstem Leistungsniveau und Qualitätsstandard. Wer dem Drängen nachgibt, um den nächsten Auftrag zu ergattern, sieht sich kaum noch in der Lage, später ein auskömmliches Preismodell für seinen Service am Markt unterzubringen.
Wird es weiterhin Stammkunden geben? Wer in diesem Teufelskreis nicht mithalten kann, scheint schnell auf verlorenem Posten zu stehen. Seine Kunden sind unzufrieden und wandern ab. Ist Kundenbindung überhaupt noch möglich? Verliert der Begriff Stammkunde gänzlich an Bedeutung? Muss jeder Kunde immer wieder aufs Neue gewonnen werden? Erfolgreiche Unternehmen wissen: Ja, das muss er! Und erst das macht ihn zum Stammkunden. Anspruchsvolle Kunden wollen immer wieder gewonnen werden Die Beispiele, die zeigen, wie Unternehmen mit ihren Kunden umgehen, um sie zufrieden zu stellen, enger an sich zu binden und ihren Kundenwert zu steigern, machen deutlich:

  • Die Kunden sind nicht verwöhnt. Sie sind anspruchsvoll, informiert, kritisch, wechselbereit und wollen deshalb mit guten Produkten, perfektem Service und einem akzeptablen Preis umworben und gewonnen werden.
  • In einer starken Marke drückt sich für den Anbieter ein Vertrauensvorschuss des Kunden aus. Wenn sie ihr Leistungsversprechen hält, ist der Kunde bereit, sich binden zu lassen.
  • Die Stammkundschaft, auf die sich ein Unternehmen verlassen kann, gibt es durchaus. Aber man sollte das Risiko im Blick behalten, dass auch treue Stammkunden einen Grund finden können, ihren Anbieter zu wechseln.
  • Deshalb kommt es darauf an, immer wieder Innovationen, kleine und große Verbesserungen zu finden, die den Kunden begeistern und die ihm deutlich machen: Du kaufst zurecht bei uns. Die Innovationsmaschine muss kontinuierlich und rund laufen.
  • Da sich die Welt der Kunden und sein Geschmack ständig ändern, sind die Quellen für solche Innovationen unerschöpflich. Sie müssen nur erkundet werden.
  • Und das geht meistens nur vor Ort und im direkten Kontakt. Vor allem brauchen die Führungskräfte und Entscheider viel mehr Verständnis für den Kunden.
Diese Spirale von Kundenerwartung und Wunscherfüllung ist ein Motor der Wirtschaft. Er sorgt dafür, dass die Produktivität steigt. Nicht nur in der Industrie, sondern gerade auch im Bereich der Dienstleistungen. Schönere Einkaufserlebnisse, schnellere Hotline, hilfreiche Handwerker, daran lässt sich der Produktivitätsgewinn erkennen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

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