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Marketing-Trend: Wiederentdeckung des Kunden

Was Kunden in Bloggs und Foren treiben und wie das Marketing darauf achten sollte.
Jürgen Fleig | 13.06.2008
Die Marketingmanager müssen ihre potenziellen Kunden genau kennen und verstehen; das ist bei den vielen Marketing-Trends etwas aus dem Blickfeld geraten. Denn die Kunden machen sich in Blogs und Communities selbstständig und betreiben Word-of-Mouth-Marketing. Wer dran bleiben will, muss Kunden einbinden, Nutzen vermitteln und glaubwürdig und konsistent rüberkommen.

Im Marketing soll wieder mehr Geld ausgegeben werden. Die Marketingmanager blicken optimistisch in die Zukunft. Fast die Hälfte der Unternehmen will die Ausgaben für Werbung und Verkaufsförderung im Jahr 2008 erhöhen, hat die Zeitschrift Absatzwirtschaft in ihrer jährlichen Befragung der rund 60 wichtigsten Marketingmanager herausgefunden. Dabei ist es nicht leicht, angesichts vieler Marketing-Trends und Modewellen zu wissen, wo und wie das Geld am meisten bringt.

Wieder mehr in den Fokus rückt: der Kunde. Der geriet in den letzten Jahren etwas ins Hintertreffen. Denn allzu sehr musste das Marketing sich selbst rechtfertigen, Controlling betreiben und einen positiven Return on Investment beweisen. Zudem war es bei der schieren Masse an Werbung besonders schwer, sich von anderen überhaupt noch abzuheben; die Suche nach der kreativsten Werbung und dem pfiffigsten Claim geriet manchen zum Selbstzweck. Zur selben Zeit macht sich der Kunde im Internet selbstständig. Im Web 2.0 betreibt er selbst ein Marketing, dass die betroffenen Unternehmen kaum steuern können.

Kundenorientierung wieder entdeckt
Für Jim Stengel, Global Marketing Officer von Procter & Gamble, ist die verstärkte Hinwendung zum Kunden, die tiefere Auseinandersetzung mit dem Menschen in der digitalisierten und vernetzten Welt deshalb die zentrale Herausforderung für die Zukunft. Er meint:

„Der Verbraucher will heute wissen, wer mit dem Herzen, mit der Seele, mit Integrität hinter einer Marke steht.“

Dabei ist der Verbraucher kritisch, mündig und manchmal auch vorlaut. Im World Wide Web bewertet er Produkte, empfiehlt seine Favoriten oder beschwert sich öffentlich über schlechte Qualität und unmoralisches Verhalten eines Unternehmens. Das macht Marketingmanagern zu schaffen. David Court von der Unternehmensberatung McKinsey spricht in seinem Beitrag „The evolving role of the CMO“ von einem „Seismic Change“. Auch die American Association of Advertising Agencies (AAAA) postuliert: „Digital Changes Everything“.

Denn die Kunden und Nutzer im Internet können die Reputation eines Unternehmens mehr beeinflussen, als die eigenen Public Relations- und Marketing-Leute. Die suchen deshalb nach Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen im Online-Marketing.

Unbestritten ist: Das Internet ist für Markenmanager und Werbetreibende eines der wichtigsten Medien. Doch mit einfacher Bannerwerbung lassen sich Kunden kaum noch gewinnen. Die wollen mitmachen und selbst aktiv sein. In Blogs, Wikis, auf Youtube oder Myspace, aber auch in Web-Communities, die von den Unternehmen selbst angeboten werden, betreiben sie eigenes Online-Marketing. Was die Unternehmen dort wieder lernen müssen: Zuhören!

Beispiel Lego Mindstorms

Der dänische Spielzeughersteller Lego hat als einer der ersten erkannt, wie wichtig es ist, die Kunden zu sogenannten „Prosumenten“ zu machen. Sie kaufen nicht nur, sondern bringen Ideen ein, entwickeln die Produkte weiter und werden zu wichtigen Produkt-Botschaftern. Auf mindstorms.lego.com lädt das Unternehmen seine Kunden dazu ein, die Software zu hacken, weiter zu entwickeln, Sensoren, Motoren und Kontrollvorrichtungen auseinanderzunehmen und neu zu programmieren.

Diese tauschen sich auf der Webseite über ihre Ideen, Lösungen und neuen Produkte aus. Das Unternehmen gewinnt wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklung. Die neuen Produkte werden mit den Kunden gemeinsam entwickelt. So hat Lego für die neue Version von Mindstorm vier Nutzer für die Entwicklung quasi angestellt. Auch die vielen anderen Produktreihen von Lego profitieren von diesem neuen Geschäftsmodell.

Erfolgsfaktor im Marketing: Interaktion zwischen den Kunden
Communities und die Interaktion zwischen den Kunden bestimmen das Marketing in den kommenden Jahren, hat das Brand Science Institute (BSI) in seiner Studie „Marketingtrends 2007+“ herausgefunden. Die Markenforscher aus Hamburg haben mehr als 1.100 Marketingspezialisten aus Theorie und Praxis zu zukünftigen Entwicklungen des Marketing befragt. Und die Experten sind sich einig: Ein Megatrend der Markenkommunikation ist die Interaktion mit und zwischen den Konsumenten. Sie sagen voraus, dass die aktive Beteiligung von Verbrauchern am Markenbildungsprozess in Zukunft die bewährten einseitigen Kommunikationswege wie Werbung und Anzeigen ablösen wird. Unternehmen werden zunehmend in den Dialog mit den Kunden treten: via Internet oder über mobile Endgeräte.

Doch die Studie zeigt auch: Der Einfluss von Web 2.0 wird auf lange Sicht schwinden. Dr. Nils Andres, Geschäftsführer des Brand Science Institute und Initiator der Studie meint:

„Die Erwartungen, die in Unternehmen derzeit an dieses Phänomen gestellt werden, führen aufgrund der Überpräsenz von Web 2.0 und der damit einhergehenden medialen Überreizung zu einem Minikollaps. Derzeit ist Web 2.0 in aller Munde. Unternehmen betreiben Blogs oder Podcasts, obwohl hierfür nicht in jedem Fall Bedarf besteht.“

Dies führe dazu, dass zwar die Technologien und Nutzungsmöglichkeiten, die hinter dem Schlagwort Web 2.0 stehen, weiterhin an Bedeutung gewinnen werden. Die Bedeutung des Begriffes „Web 2.0“ trete allerdings allmählich in den Hintergrund, meint Andres.

Zu den wichtigsten Marketingtrends 2007 zählen nach den Ergebnissen der Studie:

Crowdsourcing:Das Marketing wird sich das Phänomen des sogenannten „Crowdsourcings“ in Zukunft stärker zunutze machen. Es setzt auf die Intelligenz und die freiwillige Arbeitskraft von Internetnutzern. Eine Schar kostenloser oder gering bezahlter Amateure generiert Inhalte, löst Aufgaben und Probleme oder ist an Forschungs- und Entwicklungsprojekten beteiligt.
Mobile Communities: Das Potenzial von Mobile Communities wird bislang im Marketing unterschätzt und nicht ausgeschöpft. Die Einbindung mobiler Endgeräte kann Unternehmen wie Ebay, Coca-Cola oder 3M über Location-Based-Services neue Geschäftsfelder bescheren. Die gegenseitige Beeinflussung der Nutzer, die in solch mobilen Netzwerken stattfindet, wird zunehmend eingesetzt, um aus Konsumenten Co-Marketer zu machen.
Third Place: Das Marketing wird sich intensiver auf die geänderte Lebensweise der Bevölkerung einstellen. Viele alleinstehende junge Leute wohnen länger als noch vor einigen Jahren zu Hause bei ihren Eltern. Dadurch entsteht erheblicher Bedarf für einen „Third Place“, einem Ort jenseits von Elternhaus und Arbeitsstelle oder Universität, an dem man sich länger als eine halbe Stunde aufhalten kann und möchte. In den USA gilt Starbucks traditionell als Inbegriff des „Third Place“. In Europa stecken Marketingkonzepte wie diese bislang noch in den Kinderschuhen.
Geo-Gaming: GoogleEarth, eine Software, mit deren Hilfe man die Erde in Form von Satellitenbildern von oben betrachten kann, wird stärker in Marketingkampagnen eingebunden werden. Über GPS können handybasierte Geo-Gaming-Applikationen Individuen auf der Erde identifizieren und Gruppen an verschiedenen Orten gleichzeitig zu interaktiven Spielen veranlassen. Nike, Adidas oder Puma könnten beispielsweise Geo-Gaming-Komponenten anbieten, die in den Laufschuh integriert sind und mit dem Handy verbunden werden können. Das Geo-Gaming ist ein Ansatz, der darauf abzielt, den Community Bildungsprozess von Produkten und Marken in der realen Welt zu verstärken.
Marketing wird zur Kernfunktion erfolgreicher Unternehmen
Auch die Marketing-Experten der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton raten, wieder den Kunden zum Mittelpunkt des Marketings zu machen. Das gelte nicht nur für die Hersteller von Konsumgütern, sondern für alle, denen Marketing etwas bedeutet und die damit erfolgreich sein wollen.

Das bedeute vor allem, dass das Marketing eine Kernfunktion in diesen Unternehmen übernehmen müsse. Denn Forschung, Innovationsmanagement, Produktentwicklung, Produktion, Logistik, Vertrieb und Werbung müssen sich an den Vorgaben des kundenorientierten Marketings ausrichten – wenn sie mit der Zielgruppe des Unternehmens noch in Kontakt bleiben wollen.

Das heißt, die Unternehmen müssen an mehreren Fronten zugleich arbeiten. Vor allem müssen die Marketing-Manager raus zu den Menschen. Sie müssen besser verstehen, wie diese mit den eigenen Produkten umgehen, wo sie Probleme haben und welche Verbesserungen oder Innovationen sie erwarten. Das betrifft auch die Top-Manager in den Unternehmen: Sie müssen selbst zum Kunden, um ihm, aber auch den eigenen Mitarbeitern deutlich zu machen: Kundenfokus ist entscheidend!

Beispiel

Procter & Gamble musste dazu eine Kulturrevolution im eigenen Unternehmen einläuten; und es hat rund zehn Jahre gedauert, bis sie erfolgreich war. Die Forscher und Entwickler dürfen sich nicht mehr auf das „Not-invented here“-Syndrom rausreden, sondern müssen einen großen Teil der Ideen bei den Kunden einsammeln. Sie tun dies unter anderem auf Webseiten wie www.homemadesimple.com und www.vocalpoint.com.

Mehr zur Erfolgsstrategie von Procter & Gamble unter:

Change Management heißt sich durchzusetzen

Unternehmen wie Procter & Gamble, Google oder FedEx betreiben eigene „Kunden-Labore“, in denen sie neue Produkte oder Dienstleistungen gemeinsam mit den Kunden entwickeln und ausprobieren. Um zu verstehen, was der Kunde will – und oft selbst noch nicht genau formulieren kann –, müssen die Marketer vor allem empathisches Verhalten zeigen. Das heißt: Sie versetzen sich mit allen Sinnen in den Kunden hinein, beobachten genau und hören zu. Für Google bedeutet Marketing: Bring eine Vielzahl von Ideen an die Öffentlichkeit, lass die Kunden damit experimentieren und mach dann möglichst schnell ein Produkt daraus.


Evian in der Palace-Flasche vermittelt das Gefühl, ein Premium-Kunde zu sein.Die Bedürfnisse des Kunden verstehen
Wer bei seinen Kunden genau hinschaut, wird Muster erkennen, die zeigen, welche Entwicklungen in Zukunft wichtig sind. Die Trendforscher von trendwatching.com haben die acht wichtigsten identifiziert, die aus ihrer Sicht für 2008 maßgeblich sind:

Status: Der Kunde will mit dem Erwerb eines Produkts unterstreichen, welchen Status er erreicht hat oder sich wünscht.
Premiumization: Der Kunde will Wertschätzung erfahren, indem er Premium-Produkte erhält und durch ihren Erwerb sich von anderen abgrenzen kann.
Snack Culture: Produkte müssen schnell erwerbbar, austauschbar und anpassbar sein. Sie werden flüchtig.
Online Oxygen: Das Internet und die Vernetzung mit anderen werden für den Kunden so wichtig und so selbstverständlich wie das Atmen.
Eco-Iconic: Konsumenten wollen beim Konsum ein gutes Gewissen haben. Sie achten darauf, dass die Produkte nachhaltig sind, soziale Standards eingehalten werden und die Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen.
Brand Butlers: Wer zu seinen Produkten mehr Service und Hilfe anbietet, verankert seine Marke stärker im Bewusstsein des Kunden.
Make it Yourself: Kunden wollen selbst aktiv werden und ihre Produkte auseinandernehmen, ändern und nach eigenen Vorstellungen wieder zusammenbauen.
Crowd Mining: Menschen schließen sich zusammen, entwickeln eigene Geschäftsmodelle, sammeln Geld und planen gemeinsam wirtschaftliche Aktivitäten.
Eine ausführliche Beschreibung dieser Konsumenten-Trends mit zahlreichen Beispielen für Unternehmen und ihre Produkte finden Sie unter: http://www.trendwatching.com/briefing/

Aktionsfelder für kundenorientiertes Marketing
Sicherlich sind nicht alle Trends für jedes Unternehmen von Bedeutung. Im ersten Schritt sollte jeder Marketing-Verantwortliche kritisch hinterfragen: Was bedeutet mehr Kundenorientierung für unser Unternehmen? An welche Trends lässt sich anknüpfen? Was bedeutet dies für das eigene Geschäftsmodell, für die neuen Produkte und Dienstleistungen, für die Art der Werbung und Kommunikation mit dem Kunden?

Im Ergebnis wird sich eine Fülle von Aktionsfeldern auftun. Ob es dabei immer um Web 2.0 geht, ob jedes Unternehmen seinen Kunden-Blog betreiben soll oder ob Communities zwingend notwendig sind – das alles sei dahingestellt. Oft vergessen wird, dass es auch klassische Aktionsfelder gibt.

Beispiel Verpackung: Innovative Produkte spielen sicherlich eine wichtige Rolle im Wettbewerb. Wer Funktionen mit einem echten Mehrwert für den Kunden anbietet, schlägt Konkurrenten aus dem Feld. Aber oft nehmen Kunden das alles gar nicht wahr. Für Sie zählt:

Was ist der Kernnutzen?
Kann ich den sofort erkennen?
Ist das Produkt leicht verständlich und anzuwenden?
Bei Investitionsgütern oder technischen Konsumgütern spielt die leichte Benutzung eine zentrale Rolle. Noch immer quält sich mancher Kunde mit komplizierten Verschlussmechanismen oder unleserlichen Bedienungsanleitungen herum. Gerade hier können Unternehmen mit „Innovationen für das Einfache“ punkten.

Andere Aktionsfelder basieren auf den neuen Möglichkeiten der Technologie. So kann die Kommunikation und Interaktion mit den Kunden ganz neue Formen annehmen, wie diese Beispiele zeigen [aus: Marketing und Trendinformationen]:

Fernsehen wird persönlich: ProSiebenSat.1 will im Laufe des Jahres eine neue Technologie einführen, die Werbespots je nach Zuschauer verändert. Beispiel: Lebt der Zuschauer in einem sozial schwachen Wohngebiet, läuft Werbung für Pauschalreisen. Zuschauer mit hohem Einkommen sehen zur gleichen Zeit Reklame für eine Luxuskreuzfahrt. Voraussetzung dafür ist: Der Zuschauer empfängt das Programm über eine digitale Settop-Box. In den USA setzt der Kabelsender Comcast die Technik bereits in 30 Millionen Haushalten ein.

Handy verschmilzt mit lokalem Einzelhandel: Die New Yorker Firma GPShopper bietet einen mobilen Preisvergleichsdienst. Das funktioniert so: Kunden fragen per Handy ein bestimmtes Produkt an. GPShopper ermittelt die Position des Mobiltelefons – und schickt eine Liste mit lokalen Einzelhändlern, die das gewünschte Produkt führen, samt Preisangabe. Geplant ist auch ein Alarm-Service: Sobald der Kunde ein Geschäft passiert, in dem das gewünschte Produkt im Sonderangebot ist, klingelt sein Handy. Der Sportschuhhändler Footlocker ist bereits an diesen Service angeschlossen.

Print verschmilzt mit Online-Community: Das Verlagshaus Burda (Bunte, Focus, Playboy) bietet seinen Kunden folgenden Dienst an: Die Werbetreibenden können in ihren Print-Anzeigen zusätzlich mit einem Link auf Internet-Foren, Internet-Tagebücher oder Mailinglisten verweisen. Diese Community-Seiten wiederum werden gesponsert oder mit Bannerwerbung belegt. Die Vermittlung übernimmt Burda.

Telefon-Marketing verschmilzt mit E-Mail-Marketing: Das Online-Reisebüro Hotels.com informiert seine Kunden regelmäßig per E-Mail über Sonderangebote und befragt sie nach einer Buchung zur Zufriedenheit. Der Clou: Jede Mail enthält eine individuelle Telefonnummer. Ruft der Kunde beim Unternehmen an, sieht der Callcenter-Mitarbeiter sofort, um welches Angebot es geht.

Die Kunst des Marketings wird darin bestehen, sich in die sozialen Netze der Kunden einzuklinken – ohne unangenehm aufzufallen. Die Marketing-Experten der Agentur diffferent wissen: Eine neue Form der „Word-of Mouth“-Kommunikation entsteht. Fast die Hälfte der Konsumenten vertraut auf den Rat von Freunden – und bereits 41 Prozent glaubt an Empfehlungen von Ihnen unbekannten Onlineusern. Schlussfolgerung: Das Vertrauen in den Wissensvorsprung der Masse steigt und mit ihm die Konsumentenmacht. Für die Unternehmen bedeutet das:

Wo das Angebot sich ändert, wächst die Sehnsucht nach persönlichen Ankerpunkten.
Fehlende Hierarchien und Flexibilität fordern ein hohes Maß an Authentizität.
Emanzipierte Nutzer und deren enges Netz stellen hohe Ansprüche an Angebote.
Wenn Strukturen und Inhalte gemixt werden, wird Wiedererkennung zur Notwendigkeit.
Die Berater von diffferent bringen es auf den Punkt: bei der Interaktion mit dem Kunden zählen immer noch Relevanz, Glaubwürdigkeit, Differenzierung und Konsistenz – ganz gleich, ob im Web 2.0 oder in anderen Medien.