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Marketing Intelligence - Komplexität beherrschen

Wir leben in einer Zeit, in der vielfältige und immer schnellere Veränderungen die Unternehmen herausfordern. (Buchbeitrag)
Dieter Brändli | 17.11.2008
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Dialog-Marketing

http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenDM

http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3000239251/absolit/028-2842597-1070167/absolit


Wir leben in einer Zeit, in der vielfältige und immer schnellere Veränderungen die Unternehmen herausfordern. Auch wird das Geschäft in nahezu allen Branchen und Betriebsgrößen globaler. Gleichzeitig wird es auf Kundenebene wesentlich individueller und damit differenzierter – im Angebot, in der Kommunikation und in den zugrundeliegenden Prozessen.

Diese Differenzierungen, die mit einer konsequenten Kundenorientierung einhergehen, eröffnen zwar große neue Chancen für nachhaltige Ergebnisverbesserungen. Letztlich führen sie aber auch gerade in den marktorientierten Bereichen zu einer nie dagewesenen Komplexität des Geschehens. Wer also die Chancen aus der Kundenorientierung ausschöpfen will, muss auch die damit verbundene neue Komplexität beherrschen lernen. Und er muss bereit sein, die notwendigen und sich teils erst mittel- und langfristig rentierenden Investitionen zu tätigen.

Neue und dynamisch veränderbare dispositive und operative Prozesse werden erforderlich sein. Dabei spielt ein qualifiziertes Daten- und Wissens-Management eine große Rolle. Darauf aufbauend, sind konsolidierungsfähige, aber auch dezentral nutzbare, integrierte und zugleich hochflexible Planungs- und Steuerungs-Instrumentarien für das Unternehmen erfolgsentscheidend.

Marketing Intelligence steht hier für daten- und faktengestütztes Vorgehen. Es geht hier um die jederzeitige betriebswirtschaftliche Transparenz und umfassende Bewertbarkeit aller Marktaktivitäten. Vor allem aber geht es um die Kundenzufriedenheit beziehungweise die qualitative Kundenbestandsentwicklung. Beginnend von der ersten Einschätzung über die konkreten Planungen bis zu den laufenden Prognosen und – wenn relevant – bis auf die Einzelkunden- und/oder Einzelartikel-/Leistungsebene.


Marktszenarien und Kernstrategie

Zunehmende Globalisierung, mehr und qualifiziertere Wettbewerber, austauschbare Angebote und parallel dazu immer anspruchsvollere Kunden sind die wesentlichen Herausforderungen, denen sich Unternehmen heute stellen müssen. Digitale Technologien erweitern das Marketing-Instrumentarium um Angebots-Plattformen und neue Vertriebskanäle sowie eine Vielfalt neuer Kommunikations-Medien. Zukunftsorientierte Wettbewerber werden für sich diese Möglichkeiten erschließen, um Marktziele effizienter zu erreichen. Eine Fokussierung des gesamten Unternehmens auf die individuellen Erwartungen oder Situationen jedes einzelnen Kunden ist zunehmend das einzige verbleibende und gegenüber dem Wettbewerb wirksam differenzierende Erfolgsrezept. Kundenorientierung ist Kernstrategie.

Kontinuierliches Wachstum eines nachhaltig rentablen Kundenbestandes das Ziel!


Kunden-Informationen als Erfolgsschlüssel

Um im vorstehenden Sinne kundenorientiert zu agieren und individuell auf den einzelnen Kunden eingehen zu können, sind aktuelle, detaillierte sowie hinsichtlich ihrer Konsistenz auch qualifizierte Daten zum einzelnen Kunden notwendig. Informationen können aus den operativen Prozessen der bestehenden Kundenbeziehungen oder auch durch Anreicherung mit externen Daten gewonnen werden. Der Aufbau eines Datenmanagements ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Kundenorientierung. Abb. 1 (siehe Buch) zeigt eine Closed-Loop-Architektur Marketing-Intelligence am Beispiel Handel.

Laufende Analysen der Ist-Entwicklungen liefern wertvolle Anhaltspunkte für differenzierte Maßnahmen. Diese können zur Festigung der einzelnen Kundenbeziehungen und zur stärkeren Ausschöpfung von Bedarfssituationen führen. Die Verfügbarkeit von möglichst vielen qualifizierten Kundeninformationen und die Fähigkeit, Ideen für neue Maßnahmen anzustoßen und zu realisieren, werden zu Schlüsselkompetenzen für erfolgreiche Unternehmen.

Die vorstehenden Feststellungen sind natürlich nicht vollkommen neu. Insbesondere auch nicht die Erkenntnis, dass in einer konsequenten Kundenorientierung für nahezu jedes Unternehmen noch erhebliche Chancen-Potentiale liegen. Die Anforderungen an eine wirtschaftlich effiziente Kundenorientierung werden aber immer noch eher selten erfüllt.


Konsequenzen verklaren und Mitarbeiter einbeziehen

Nach meinen Beobachtungen in unterschiedlichen Branchen bei Unternehmen verschiedener Größen wird inzwischen richtigerweise die Verantwortung für die Kundenorientierung häufiger auf höchster Unternehmensebene angesiedelt. Man setzt sich aber völlig unzureichend im Detail mit den neuen oder erweiterten kundenbezogenen Zielgrößen und den vielfältigen Konsequenzen einer kundenorientierten Unternehmensführung und deren systematische Transferierung in alle Unternehmensbereiche auseinander. Das „Projekt Kundenorientierung“ wird unterschätzt.

Kundenorientierung wird letztlich im Dialog zwischen Kunden und Mitarbeitern eines Unternehmens gestaltet. Kundenorientierung geht mit Mitarbeiter-Orientierung einher – eine in vielen Unternehmen gereifte Erkenntnis. Trotzdem mangelt es sehr häufig auch noch daran, alle Mitarbeiter auf dem Weg zum kundenorientierten Unternehmen so in die gewollte neue Denke einzubeziehen, damit sie bei ihren Aufgaben und Lösungen auch immer umfassend strategiekonform aus der Sicht des jeweiligen Kunden handeln können.


Dimensionen der Veränderungen

Man muss sich vergegenwärtigen, dass die traditionelle Unternehmensstruktur mit ihren „schlank und ohne Schleifen“ gestalteten Prozessen letztlich von einer Gleichbehandlung aller Kunden ausgeht. Das ist keine gute Lösung für den einzelnen Kunden, da in einer derartigen Organisation seine individuellen Situationen nicht berücksichtigt werden.

Das Hauptaugenmerk der Unternehmensführung und Organisationsgestalter lag und liegt traditionell auf eher streng funktionalen sowie durch Vereinheitlichung und Spezialisierung auch hochrationellen Strukturen. Diese Prioritäten stehen immer noch ganz oben [2].

In diesen Strukturen und in dieser eher kurzfristigen Denke ist kein Raum für eine konsequente Kundenorientierung. Diese erfordert in allen Beziehungsphasen eine differenzierte bis individuelle Kundenbehandlung und nicht etwa eine vorrangig „kurzfristig aufwandsminimierte“ Gleichbehandlung (vergleiche Abb. 2, siehe Buch).

Unternehmen, die sich also eine konsequente Kundenorientierung auf die Fahne schreiben, werden eine – von allen Mitarbeitern getragene – sehr ausgeprägte Offenheit gegenüber Impulsen aus dem Markt und insbesondere von den Kunden schaffen müssen (vergleiche vertiefend [3], S. 66ff).

Wenn beispielsweise im Handel bislang der Einkauf mit der Sortimentserstellung das Geschehen dominierte, dann wird zukünftig über veränderte Kompetenzstrukturen im Unternehmen der Kunde stärker die entscheidende Treiberrolle übernehmen. Sortimentsplanungen und Sortimentsentscheidungen, Kommunikations-Gestaltung oder Serviceleistungen sind nur einige Beispiele, bei denen der Kundeneinfluss zunehmen wird.

Der stärkere Kundeneinfluss kann durch eine indirekte Mitwirkung über die Umsetzung von Erkenntnissen aus unternehmensweit verfügbaren Informationen geschehen, die aus allen kundenbezogenen Prozessen oder auch externen Daten generiert werden. Der Einfluss muss und kann aber auch durch eine direkte Einbeziehung erfolgen, die über Befragungen, Kundenpanel, Kundenbeirat oder auch ganz generell über eine systematische Nutzung der vorhandenen oder neu zu schaffenden „Customer Touch Points“ zur realisieren ist (vergleiche [3], S. 77ff).

Unternehmer oder Management müssen Kundenorientierung auf jeden Fall auch zur Chefsache und zum zentralen Bestandteil der Unternehmensstrategie machen. Sie müssen dabei auch neue Zielgrößen für alle Beteiligten setzen, die beispielsweise ein mittel- bis langfristiges Investitions- und Amortisations-Denken erlauben, wenn es um Aufwendungen für die Entwicklung von einzelnen Kundenbeziehungen geht. Also weg vom Denken und Handeln in Einzelaktionen und Steuerung nach kurzfristigen Ergebnissen. Hin zu einem die verschiedenen Aktivitäten vernetzenden Denken und Handeln für eine nachhaltig verbesserte Kundenwertentwicklung.


Nutzen verklaren und absichern

Die Dimension der im Raum stehenden Veränderungen bedingt natürlich, dass man sich den konkreten Nutzen der Kundenorientierung im Sinne differenzierter bis individueller Kundenmaßnahmen vergegenwärtigt, ihn messbar und so auch im relevanten Detail planbar und kontrollfähig macht.

An die Stelle von wenigen, gleichartigen, kundengerichteten Prozessen tritt nun eine Unmenge von sich in einem oder mehreren Punkten unterscheidenden Aktivitäten. Diese sind zu planen, zu steuern und in ihren Ergebnissen zu kontrollieren.

Eine ganzheitliche und wirtschaftlich effiziente Kundenorientierung kann also nur dann realistisch und wirksam umgesetzt werden, wenn die damit verbundene höhere Komplexität aller zum Kunden wirkenden Methoden, Instrumentarien und Prozesse im Unternehmen beherrscht wird.

Ganz wesentlich ist der dezentrale Zugriff auf eine unternehmensweite einheitliche Datenbasis für alle an der Marktbearbeitung beteiligten Bereiche und Mitarbeiter. Nur so können beispielsweise auch auf den einzelnen Kunden wirkende Aktivitäten verschiedener Zuständigkeiten wie Angebotserstellung, Auftragsbearbeitung, Reklamationsbearbeitung koordiniert bearbeitet werden.


Einstieg in ein Projekt Kundenorientierung

In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass das „Projekt Kundenorientierung“ oft in ein schwieriges Fahrwasser gerät. Vor dem Start sind weder der konkrete Nutzen noch die notwendigen Voraussetzungen geklärt. Auch die erforderliche Zeit, Kapazitäten und Kosten sind oft unklar. Oft verzögern sich deshalb Projekte oder werden gar abgebrochen. Man wird von Kostenentwicklungen überrascht, aber keine fundierte Nutzenermittlung kann gegenargumentiert werden. Oder Projekte scheitern einfach daran, dass die zusätzlichen personellen Ressourcen erheblich unterschätzt wurden.

Eher selten wird aus unternehmerischer und strategischer Überzeugung heraus ein „Projekt Kundenorientierung“ ohne eine (zeitraubende) Vorplanung per Entscheidung gestartet. Dieses Vorgehen ist zumeist mit einer die Realisierungszeit deutlich verkürzenden iterativen Vorgehensweise verbunden, bei der sich der Veränderungsprozess zwar an den strategischen Zielen orientiert, aber nicht zuvor bereits alle Einzelmaßnahmen im Detail konzipiert sowie terminlich und finanziell ausgeplant werden.


Kann sich das Projekt rechnen?

Das „Projekt Kundenorientierung“ sollte im Regelfall mit der Einschätzung des möglichen nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzens einer konsequenten Kundenorientierung beginnen. Hier können beispielsweise Ex-Post-Analysen des im Unternehmen bereits vorhandenen Kunden-Datenmaterials zur Angebots-, Kaufund Geschäftsabwicklungs-Historie oder auch gezielte Aktionstests und qualitative Kundenbefragungen wichtige Antworten liefern.

Welche wirtschaftlichen Effekte können aus einer stärkeren Kundenbindung und Kundenausschöpfung mit einer differenzierteren und dadurch effizienteren Kunden- beziehungsweise Zielgruppen-Bearbeitung erzielt werden? Welche nachhaltigen Umsatz- und Ergebnissteigerungen sind – grob eingeschätzt – im kurz-, mittel- und langfristigen Zeitverlauf vorstellbar?

In einem parallelen Schritt ist wenigstens grob zu erarbeiten, welche Veränderungen in Personal, Strukturen, Prozessen, Methoden und Systemen notwendig sein werden. Ebenso ist zu ermitteln, welche Veränderungskosten dadurch entstehen, wenn Kundenorientierung als Kernstrategie im Unternehmen umgesetzt werden soll.

Wie sind die zukünftigen Aufwendungen einzuschätzen? Können etwaige Mehraufwendungen innerhalb eines vertretbaren Zeitfensters durch die eingeschätzten nachhaltigen Ergebnisverbesserungen ausgeglichen werden? Oder besser: Wie hoch ist der erwartete positive Ergebnissaldo aus den Veränderungen in Richtung Kundenorientierung?


Wie den Projekterfolg sichern?

Der Weg zur Kundenorientierung kommt einem Umbruch gleich, der erhebliche Veränderungen und damit auch Widerstände im Unternehmen mit sich bringen wird. Die grundlegende strategische und wirtschaftliche Zukunftsbedeutung des Projektes machen ein hochqualifiziertes, eigenständiges und durchsetzungsfähiges Projektmanagement erforderlich. Wesentlich ist neben der Bereitstellung der Ressourcen ein Sponsor auf Unternehmer- oder Top-Management-Ebene!


Literatur

[1] dbu Unternehmensberatung GmbH.
[2] Capgemini: CRM-Barometer 2007/2008. – Abb. 4, 2008.
[3] Kreutzer R.: Schlüssel 2: Der entfremdete Kunde – Kaum einer hat oder will heute noch Kundenkontakt. – In: Kreutzer R., Kuhfuß H., Hartmann W.: Marketing Excellence, Sieben Schlüssel zur Profilierung Ihrer Marketing Performance. – Wiesbaden, S. 66-90, 2007.